Hackenholt 06 - Reichskleinodien
zwei Lagen Handtüchern abdeckte. Eine der Hebammen im St.-Theresien-Krankenhaus hatte ihr gesagt, es sei erst an der Zeit, sich zu ihnen auf den Weg zu machen, wenn die Wehen regelmäßig alle zehn Minuten kamen und ungefähr eine Minute lang andauerten – oder wenn sie sich zu Hause nicht mehr wohlfühlte. Und davon konnte bislang keine Rede sein.
Zwei Stunden später sah die Sache allerdings anders aus. Die Wehen kamen nun im Abstand von deutlich weniger als einer Viertelstunde, und sie waren so sehr in Sophies Bewusstsein gerückt, dass sie an nichts anderes mehr denken konnte, solange sie anhielten. Auch Ronja schien begriffen zu haben: Jetzt wird’s ernst, denn sie verhielt sich auf einmal völlig friedlich.
Sophie ging zurück ins Schlafzimmer und weckte Hackenholt, um in die Klinik zu fahren.
Als Hackenholt um zehn Minuten nach neun verschwitzt und unrasiert im Kommissariat eintraf, hielten seine Kollegen gerade Kriegsrat, was sie tun sollten. Stellfeldt war am Morgen ziemlich verwundert gewesen, der Erste in der Dienststelle zu sein. Normalerweise war Hackenholt vor ihm da. Dann trudelten Baumann und Wünnenberg ein – doch noch immer war vom Hauptkommissar nichts zu sehen und zu hören. Und das, obwohl die Haftvorführung für Giulietta Veccio unaufhaltsam näher rückte und die Beamten noch einiges erledigen mussten.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Wünnenberg, während er Hackenholt intensiv musterte. »Hast du unter der Brücke geschlafen?«
Hackenholt sagte nichts, stattdessen bedachte er seine Kollegen mit einem leicht debil wirkenden Honigkuchenpferd-Grinsen.
»Allmächd!« Baumann war die Erste, der ein Zusammenhang mit Sophies Schwangerschaft dämmerte. »Sooch edzerd ned, dass des Waggerla scho då is.« 54
»Doch. Ronja hat heute Morgen um sieben Uhr vierundfünfzig das Licht der Welt erblickt.« Mit sichtlichem Vaterstolz rasselte Hackenholt sämtliche Körperdaten seiner Tochter herunter. Natürlich ließ er sich auch darüber aus, wie hübsch sie aussehe und welch kräftiges Stimmchen sie habe. Er beendete seinen Bericht damit, dass es keine Komplikationen gegeben habe und es Sophie, Ronja und auch ihm selbst gut gehe, sie sich nun jedoch alle ein bisschen Schlaf verdient hätten.
»Soll das heißen, du willst gleich wieder gehen?« Wünnenberg sah ihn erstaunt an.
Hackenholt nickte. »Die Haftvorführung kannst genauso gut du übernehmen. Und Manfred. Dr. Holm wird ja ebenfalls anwesend sein.«
»Du könntest dich wenigstens noch kurz zu einer Besprechung zu uns setzen, meinst du nicht?«, brummte Wünnenberg. »Außerdem habe ich gerade frischen Kaffee gekocht – wenn wir schon nichts anderes zum Anstoßen haben, müssen wir das Ereignis eben mit Jemen Bani Matar begießen.«
»Quatsch!«, widersprach Stellfeldt und griff zum Telefon. »Christine hat doch seit Wochen für genau diesen Moment vorgesorgt.«
Als sich die Kollegin meldete, sagte er knapp in den Hörer: »Falls die Flasche Sekt, die du im Kühlschrank versteckt hast, zum Einsatz kommen soll, ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt.« Damit legte er auf. Eine halbe Minute später hörten sie Murs rasche Schritte im Flur.
»Was sagst du da, Manfred? Woher weißt du –?« Hackenholts Anblick ließ sie abrupt innehalten. »Sophie hat Ronja zur Welt gebracht?«, fragte sie aufgeregt.
Hackenholt rasselte noch einmal sämtliche Daten herunter, während Mur ihn umarmte und auf die Wange küsste.
»Ich bin so froh, dass alles gut gegangen ist. Ich wünsche euch drei recht viel Glück.« Ihre Stimme klang ungewohnt tief, und sie hatte Tränen der Rührung in den Augen. Verlegen räusperte sie sich. »Das Häuschen bei mir gegenüber sucht übrigens immer noch einen neuen Besitzer.«
Dann drückte sie Stellfeldt die mitgebrachte Flasche Sekt in die Hand und wies ihn an, sie über dem Waschbecken zu öffnen, weil sie sich nicht sicher war, ob sie sie in der Eile nicht versehentlich etwas zu schwungvoll getragen hatte.
Nachdem die Beamten auf die neue Erdenbürgerin angestoßen hatten, war es fast an der Zeit, Giulietta Veccio in der Haftanstalt abzuholen und zum Ermittlungsrichter in die Bärenschanzstraße zu überstellen.
»Ich habe mir vorhin den Zeiterfassungsbogen der Firma Dippold-Transporte vorgenommen«, sagte Wünnenberg an Hackenholt gewandt. »Darin ist tatsächlich vermerkt, dass sie bis neunzehn Uhr im Büro gewesen sein soll.«
»Aber der Einzige, der das bezeugen kann, ist tot.«
»Das ist durchaus
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