Hades
neu sortieren musste. «Aber hat denn niemand bemerkt, was gerade passiert ist?»
«Du würdest dich wundern, was dem menschlichen Radar alles entgeht», sagte Ivy. «Tag für Tag geschehen die merkwürdigsten Dinge, und niemand erkennt es. Und wenn einmal jemand etwas Übersinnliches erlebt, schiebt er es darauf, dass er zu viel Kaffee getrunken oder nicht genug geschlafen hat. Es gibt Hunderte von Entschuldigungen, um der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen zu müssen.»
«Wenn du meinst», war alles, was Xavier einfiel.
«Was ist mit Bethany?», fragte Ivy. «Du hast sie wirklich gesehen?»
«Ja.» Xavier kratzte mit dem Schuh am Boden herum. «Ich hatte … schon ein paarmal mit ihr Kontakt.»
Ivy schürzte die Lippen. «Schön, dass wir das auch mal erfahren», sagte sie. Auf ihrer Stirn bildete sich eine Falte. «Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist.»
Gabriel runzelte die Stirn. «Astrale Projektion?», fragte er zweifelnd. «Aus der Hölle?»
«Vielleicht ist Bethany doch mächtiger, als den Dämonen bewusst ist … und ihr selbst auch.»
«Jedenfalls haben sie von einem keine Ahnung», sagte Gabriel, «nämlich wie verbunden Bethany mit der Erde ist.» Er warf Xavier einen Seitenblick zu. «Du bindest sie stärker an diesen Ort, als die da unten sich vorstellen können.» Er trommelte mit den Fingern auf der Motorhaube herum, während ihm ein neuer Gedanke zu kommen schien. «Soweit ich das überblicke, seid ihr beide wie zwei Magneten, die voneinander angezogen werden. Und diese Anziehungskraft ist so stark, dass Bethany dich sogar von dort, wo sie jetzt ist, erreichen kann.»
Auch wenn mein Herz sich noch immer nicht von dem Schock der Ereignisse erholt hatte, verspürte ich Stolz auf meine Bindung zu Xavier. Dass ich ihn sogar aus meinem unterirdischen Gefängnis erreichen konnte, dass meine Liebe zu ihm die Mauern des Bösen einriss, sagte tatsächlich etwas darüber aus, wie stark unsere Liebe war. «Sind wir gut oder was?», hätte ich ihm am liebsten zugerufen und ihn abgeklatscht. Das hätte jetzt wirklich gepasst.
Bei Xavier schienen Gabriels Worte hingegen etwas ganz anderes auszulösen.
«Das ist doch alles Mist!», rief er. «Jake spielt mit uns, und wir lassen es zu.» Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Der silberne Freundschaftsring an seinem Zeigefinger glitzerte in der Morgensonne. «Hat er wirklich geglaubt, dass wir das alles so hinnehmen?» Sein Blick war so wild, als ob gleich silberne Kanonenkugeln aus seinen meerblauen Augen geschossen kämen. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und spähte über den Horizont. «Ich jedenfalls habe genug. Ich will sie zurück. Diese Spielchen machen mich krank. Und egal, was passiert, ich werde sie finden. Hast du das gehört, Jake?» Xavier öffnete die Arme und schrie: «Ich weiß, dass du da draußen irgendwo bist, und du solltest mich lieber ernst nehmen! Es ist noch nicht vorbei.»
Gabriel und Ivy standen nebeneinander wie eine Einheit und schwiegen. Die aufgehende Sonne ließ ihr Haar aufleuchten, und in ihren hellen Augen blitzte neben dem üblichen Ernst noch etwas anderes: Wut. Keine normale Wut, sondern tiefer, ungezügelter Zorn auf die dämonischen Kräfte, die sich einen der ihren genommen hatten.
Als Gabriel schließlich sprach, klang es wie Donnergrollen. «Du hast recht», sagte er zu Xavier. «Wir haben lange genug nach den Regeln gespielt.»
«Jetzt müssen wir etwas tun», sagte Ivy.
«Als Erstes fahren wir zurück ins Hotel und packen unsere Sachen», erklärte Gabriel. «In einer Stunde brechen wir nach Broken Hill auf.»
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31
Pakt mit dem Teufel
Große Hoffnung hatte ich nicht. Auch wenn ich sicher war, dass meine Geschwister jenen Bahnhof in Alabama finden würden, an dem der schreckliche Unfall passiert war, konnte ich mir nicht vorstellen, wie sie das Portal öffnen wollten. Nur die Boten der Finsternis konnten es, für himmlische Mächte waren sie fest verschlossen. Und auch wenn Gabriel im Himmel sehr mächtig war, würde er sich über diese Tatsache nicht hinwegsetzen können. Soweit ich wusste, hatten wir Engel bisher aber auch noch nie einen Grund gehabt, in die Hölle einzudringen. Was sich dort unter der Erde abspielte, ging uns nichts an – es war Luzifers Domäne. Nur wenn die Bewohner der Hölle sich nach oben schlichen, um auf der Erde Verwüstung anzurichten, mischten wir Engel uns überhaupt ein. Wie gern hätte ich geglaubt, dass Xavier es mit
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