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Hades

Hades

Titel: Hades Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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gespendet, für mich gekämpft, mich beschützt und in der Welt der Lebenden verankert. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie ich Xavier zum ersten Mal am Pier gesehen hatte. Er hatte zu mir aufgesehen, und das Abendlicht hatte goldene Strähnen in sein honigbraunes Haar gezaubert. Seine Augen hatten so viel Tiefe ausgestrahlt. Ich hatte mich gefragt, wer er wohl war und was für ein Mensch er war, und nicht erwartet, ihn je wiederzusehen. Plötzlich übermannten mich die Erinnerungen. Xavier und ich, die sich im Sweethearts ein Stück Schokoladenkuchen teilen – er hatte mich den ganzen Abend angesehen wie ein Rätsel, das es zu lösen galt. Seine tiefe Stimme, wenn er aufwacht. Das Gefühl seiner Lippen an meinem Nacken. Sein Geruch, dieser frische, reine, holzige Duft wie ein Sommertag. Ich sah vor mir, wie das Kreuz an seinem Hals glitzerte, wenn das Mondlicht darauffiel. Ich wusste alles über ihn, und jedes einzelne Detail war mir heilig. In diesem Moment erkannte ich, dass unsere Verbindung so tief war, dass sie jede physische Barriere durchbrechen konnte.
    Ohne Vorwarnung wurde ich direkt neben Xavier auf dem Beifahrersitz sichtbar. Xavier riss die Augen auf und stieß einen Schrei aus. Jake steckte den Kopf zwischen die beiden Vordersitze.
    «Hallo, Darling», sagte er finster. «Habe ich es mir doch gedacht, dass ich dich hier finde. Gibt wohl Probleme mit dem Auto, wie ich sehe.»
    «Beth», flüsterte Xavier. «Was geht hier vor?»
    Erst jetzt fiel mir ein, dass er Jake nicht sehen konnte – und keine Ahnung hatte, was geschah.
    «Es ist alles in Ordnung», sagte ich. «Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht.»
    «Beth, ich halte das nicht mehr länger aus», sagte er mit gebrochener Stimme. «Wo bist du? Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, und ich brauche dich hier bei mir.»
    «Oh, heul, flenn», wimmerte Jake auf dem Rücksitz. «Sie ist jetzt mein, find dich damit ab!»
    «Halt deine Klappe», fauchte ich und erntete einen erstaunten Blick von Xavier. «Nicht du», erklärte ich schnell. «Jake ist hier bei uns.»
    «Was?» Xavier wirbelte herum, aber für ihn war der Rücksitz leer.
    «Vertrau mir einfach», sagte ich, als der Chevy gefährlich nah an den Klippenrand schlitterte. Xavier rang nach Luft und hielt sich in Erwartung des Falls schützend den Arm vors Gesicht. Aber in letzter Minute drehte das Auto ab und fuhr zurück auf die Straße.
    «Xavier», sagte ich. «Sieh mich an.»
    Ich wusste nicht, wie viel Zeit wir noch zusammen hatten, aber er musste erfahren, dass er nicht allein war. Ein bekannter Bibelvers schoss mir durch den Kopf – eine meiner Lieblingsstellen aus dem Buch Genesis. Darin ging es um Mizpa, einen Ort, der gleichzeitig überall und nirgends sein konnte. Ein Ort, der in dieser Dimension nicht existierte, von dem aber mehr Kraft ausging, als irgendjemand begreifen konnte. Hier konnten sich die Seelen vereinigen, ohne dass sie körperlich da sein mussten. Ich erinnerte mich an einen Tag an der Bryce Hamilton, an dem ich mich in Xaviers Arme geflüchtet hatte, voller Angst davor, eines Tages von ihm getrennt zu werden. Ich wusste noch genau, was wir damals besprochen hatten:
    «Lass uns einen Ort suchen, nur für uns, einen Ort, wo wir uns immer finden können, wenn mal alles schiefgehen sollte …»
    «Erinnerst du dich an den Weißen Ort?», flüsterte ich drängend.
    Xaviers Körper entspannte sich ein bisschen, als er mich ansah. «Natürlich», murmelte er.
    «Dann schließe die Augen und geh dorthin», flüsterte ich. «Ich werde dort auf dich warten. Und vergiss nicht … nur die Dimensionen trennen uns voneinander.»
    In Xaviers Augen trat ein Verständnis, das ich vorher noch nicht gesehen hatte. Er atmete tief durch, schloss die Augen, ließ das Lenkrad los und saß schließlich ganz still da.
    Von hinten erklang Jakes unwirsche Stimme. «Das war genug sentimentaler Mist für heute.»
    «Hör zu …» Ich drehte mich um, um mit ihm zu reden und ihn zur Vernunft zu bringen, aber es war zu spät. Der Chevy flog über den Straßenrand und durchschlug die dünne Metallbrüstung, als wären es Streichhölzer. Dann stürzten wir die Klippenwand hinab.
    «Nein!», schrie ich, während mich ein heftiger Schmerz im Magen durchflutete.
    Xavier reagierte nicht. Er war noch immer im Weißen Raum, gleichgültig, ob er lebte oder starb.

    Der Chevy schien in Zeitlupe die Klippen hinabzustürzen. Als der Boden des Autos einen Felsvorsprung streifte,

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