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Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Titel: Hadschi Halef Omar im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Hohenthal
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gerettet hatte. Anders als man denken möchte, durfte ich ihm das keinesfalls ins Gesicht sagen, es nicht einmal andeuten, weil es eine Schmach für ihn bedeutet hätte. Doch wie viele weitere Fährnisse lauerten auf Vogel, dessen Sinne für Gefahren noch nicht vollständig geschärft waren. Wurde er von den Schoschonen gefangen, würde er ihnen als Faustpfand zu dienen haben, was ihn bei den Seinen kaum in Ansehen bringen konnte. Schlimmstenfalls würde man ihn töten, da er nur ein Messer bei sich trug, das gegen die meisten anderen Waffen im Nachteil war.

    Darum sagte ich:
    »Vogel ist mutig, sich an die Schlangenindianer zu machen. Doch wie viele Male müßte er seine Hände erheben, um ihre Köpfe zu zählen, denn sie sind nicht mit wenigen Kriegern zur Jagd, sondern mit dem ganzen Stamme unterwegs. Wird Vogel Winnetou und Old Shatterhand versprechen, umsichtig zu sein, auf daß er findet, wonach sein Herz sich sehnt? Noch besitzt er kein Gewehr, wie ich sehe, nicht einmal einen Bogen oder ein Gewand.«
    »Die Schoschonen«, sagte der Junge da und dehnte den Mund zu einem Lächeln. »Die Schoschonen fertigen sehr gute Bogen, und sie haben sehr gute Pfeile, die weit tragen. Manch einer besitzt gar eine Büchse – Vogel wird nicht lange unbewaffnet bleiben. Bevor der Winter naht, schmückt ihn längst ein Gefieder!«
    Nach diesen Worten sprang er auf, nahm Anlauf und hechtete auf sein Pferd, das nach Indianerart nicht gesattelt und von uns nicht angehobbelt worden war. Mit nicht mehr als seinem Messer, aber dem Besten, was ein Mensch – gleich welcher Hautfarbe – haben konnte, nämlich Zuversicht, jagte er davon, hinaus in die offene Prärie, die das Meer der Indianer war. Daß wir ihn wiedersehen würden, daran bestand für Winnetou und mich kein Zweifel, selbst auf der unendlichen Prärie bleibt es nicht aus, daß man seinen »Nachbarn« begegnet.
    Als der Hufschlag von Vogels Pferd verklungen war, machten wir uns daran, die Spuren unseres Aufenthalts zu beseitigen. Dann setzten wir unseren Weg fort, den Fluß hinüber und weiter dem alten Militärposten entgegen, auf der Hut vor dem Stamme, der sehr gute Bogen und Pfeile fertigte.

    Lieber Leser, ehe ich mit den weiteren Geschehnissen fortfahre, muß ich etwas Bestimmtes vorausschicken. Die Fragen nämlich nach Winnetou nehmen kein Ende. Ob in Briefen oder in Telegrammen, ob auf Reisen, bei Begegnungen mit großen und kleinen, jungen und alten Freunden dieses herausragendsten aller
Indianer, stets umfangen mich Menschen, die von Gedanken an und über den großen Apachen getrieben sind. Ob es stimme, daß Winnetou über noch viel feinere Instinkte verfüge, als man sie ohnedies bei Angehörigen von Naturvölkern anzutreffen pflege? Ob seine Wahrnehmungen so empfindsam seien, wie ich, sein Blutsbruder und Chronist, sie beschrieben hätte? Ob es zutreffe, daß Winnetou meist nur ein flüchtiger Blick in Gesichter oder auf Fährten von Freund und Feind genüge, um seine Schlüsse zu ziehen, stets die richtigen?
    Was immer ich auf solche Fragen antworte, sie ziehen weitere nach sich, noch viel intimere. Die wichtigste von allen: Hatte Winnetou Humor, konnte der Häuptling lachen?
    Was soll ich darauf antworten?
    Dieser Mann, Mensch und Krieger war ja von einer derartigen Einfühlungskraft, daß er Vergangenes wie Kommendes förmlich zu erriechen vermochte. Wie oft habe ich es erlebt, daß Winnetou in den Stunden vor einer bedeutenden Entscheidung nur einen einzigen Satz, manchmal nur ein einziges Wort sprach. Stets aber klang das, was er sagte, wie eine Vorahnung, die sich alsbald bewahrheiten sollte. Er besaß Feingefühl in überreichem Maße. Hatten wir uns beispielsweise auf die Jagd begeben und blieb ich, der von Winnetou doch in unzähligen Fähigkeiten Unterwiesene, einmal hinter dem Gelernten zurück, zum Beispiel beim Fischen mit dem Speer, so konnte es geschehen, daß über Winnetous männlich-anmutiges Gesicht ganz kurz ein heller Schatten zuckte. In unserem Sprachgebrauch würde man sagen: Ihm blitzte der Schalk aus den Augen. Derlei Beobachtungen machte ich manches Mal, doch nie kam es so weit, daß Winnetou eine zum Lachen auffordernde Bemerkung geäußert hätte. Anekdoten oder gar Witze erzählte er, der Würdige und stets Gefaßte, ohnedies nie.
    Man denke sich darum meine Verwunderung, als einige Stunden nach unserer Begegnung mit dem Indianerjungen Vogel – wir waren am Ausfluß des Lightning Creek in den North Platte River angelangt und

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