Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Bühne den Heldenbariton zu schmettern anstatt nur den Schusterbaß, das konnte eine Aufgabe sein: Das Projektil des Fräuleins hatte keinen Indianer, wohl aber mich getroffen. Der Pfeil Almas war der Pfeil Amors.
Ein paar Stunden später fanden wir uns auf der Prärie wieder.
Zuvor hatten wir an dem Flusse noch ausgiebig unsere Tiere getränkt und unsere Wasservorräte ergänzt. Die Prärie war durchsetzt von größeren und kleineren Wasserstellen, aber ich wollte in dieser Beziehung kein Risiko eingehen.
Die bisherige Aufgabe Winnetous, unsere Spuren auszumerzen, versah ich nun selbst, da er noch nicht zu uns zurückgekehrt war. Halef, lernbegierig wie immer, war mir zur Hand; Hirtreiter traf seine Vorbereitungen für unser Essen im Sattel, eine Fähigkeit, die zu bewundern mir leider die Zeit fehlte.
Als der Tag sich neigte, durfte ich unseren Abstand zu den Feinden für bedeutend genug halten, um wieder auf eine Linie zu unserem nächsten Ziele, dem Ocean Lake, einzuschwenken. Die Suche nach einem Lagerplatz für die Nacht kostete keine Mühen; wir machten einfach halt und blieben, wo wir waren, mitten auf der Ebene, irgendwo zwischen verkrüppelten Fichtenstämmen und von Wind und Sonne gebräuntem Grase.
Jetzt zeigten sich bei einem jeden doch die Folgen der Anstrengungen dieses Tages, so daß ich mich erstmals wieder um Everts kümmern wollte. In den letzten Stunden hatte er nicht einmal mehr das von ihm bekannte Wehklagen von sich gegeben, was man für verdächtig oder besorgniserregend halten konnte.
»Wie geht es Euch, Mister Everts?«
»Könnte nicht besser sein«, sagte der Alte unwirsch. »Ich stelle fest, man gönnt mir keine Ruhe und zum Reiten nur ein Maultier; nach wie vor bin ich unbewaffnet und heute nur durch Glück dem Tode entronnen.«
»Glaubt Ihr das wirklich? Ihr verdankt Euer Leben weniger dem Glück als dem Umstand, daß vier Männer auch für Euch kämpften. Nehmt Euch ein Beispiel an Herrn Hirtreiter. Er war noch nie im Wilden Westen und genauso überrascht von dem Angriff wie wir alle. Aber er hat sich ein Bäumchen ausgerupft, mit dem er sich der Indianer erwehrte. Hättet Ihr Euch nicht auch einen Knüppel finden und ein wenig mit austeilen können?«
»Wo denkt Ihr hin, ich bin Steuereintreiber! Meine Profession ist das Einnehmen, nicht das Austeilen. Meinen Kopf in einem unnützen Gefecht hinzuhalten hätte nichts gebracht.«
»Danke, Sir, für Eure Aufrichtigkeit. Was nun Euer Reittier betrifft – ist Euch nicht aufgefallen, daß jenes einem anderen gehört, nämlich Mister Halef? Daß er und Fräulein Alma ihr gesamtes Gepäck auf ein einziges schnüren mußten, damit Ihr wieder beritten seid? Daß wir überhaupt das wenige, was wir besitzen, mit Euch teilen? Was seid Ihr nur für ein Mensch, daß Ihr das überseht.«
»Tut Euch nicht so groß, Old Shatterhand. Im Gegensatz zu Euch habe ich mich von Anfang an als der ausgewiesen, welcher ich bin: ein Staatsbeamter. Daß Ihr mir Eure Hilfe nicht versagt, ist kein Samariterdienst, sondern Eure Pflicht. Aber da wir schon einmal miteinander sprechen, eine Ehre, die Ihr mir seit Tagen verwehrt: Ich habe über unsere Lage nachgedacht und einen Entschluß getroffen.«
»Wirklich? So habt die Güte, mir diesen mitzuteilen, am besten auch den Gefährten. Wartet, ich rufe sie zusammen.«
Ich bat Halef, Hirtreiter und Alma hinzu, die verwundert waren, daß ich mich mit Everts überhaupt noch abgab. Ihnen allen, selbst dem Fräulein gegenüber, hatte er sich in keiner Weise als Kamerad erwiesen. Nun warf er sich auf einmal in die Brust und vergaß auch nicht, wichtigtuerisch an dem Gestell der von mir geopferten Brille zu rücken.
» Gentlemen, young lady – ich bin Truman C. Everts, noch vom Präsidenten Abraham Lincoln zum obersten Steuerbeamten von Montana ernannt! Aus Gründen, die hier nichts zur Sache tun, übe ich dieses Amt gegenwärtig nicht aus. Ich bin aber beauftragt, Mister Washburn auf seiner Expedition nach dem Yellowstone zu begleiten. Wie es scheint, hat man ihn und seine Männer überfallen und in das Indianerlager verschleppt. Demnach ist Mister Washburn seiner Handlungsfreiheit beraubt. Dennoch besteht sein Wille fort, den ihm anvertrauten Auftrag zu erfüllen. Als deren einziger Teilnehmer in Freiheit kommt mithin nun mir die Aufgabe zu, für deren Verwirklichung zu sorgen. Ich habe darum entschieden – – – «
»Wie bitte?« fiel ich Everts streng ins Wort. » Ihr habt entschieden?«
»Ja, Old
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