Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
wurde, hatte er bisher jedes Wort verstanden. Dadurch war sein Gerechtigkeitssinn aufs äußerste strapaziert worden; die Art, wie Hayes seine Ruchlosigkeit gegenüber uns sowie den Indianern zeigte, empörte ihn.
»Sihdi«, stieß er mich an. »Das ist zuviel, das nehme ich nicht hin. Ich muß diesen Ungläubigen eine Lektion erteilen!«
Ich wollte ihn hindern, aber es war mir nicht möglich. Wie zuvor Hayes, sprang nun er auf, und die Indianer, welche uns umstanden, waren viel zu überrascht, als daß sie den Unbewaffneten aufgehalten hätten. Als wäre es nichts, bahnte er sich einen Weg zum Feuer, blieb dort aber nicht etwa stehen, sondern begann damit, es mit geschwinden Schritten zu umkreisen. Wie ein Komet mit einem Funkenschweif zog er seine Bahn um die sitzenden Männer, verweilte bald bei dem einen, bald bei dem anderen, sprach und schimpfte auf jeden von ihnen ein, wobei ihm vor Erregung das Englische und das Arabische gründlich durcheinandergerieten:
»Beim Allmächtigen, dem Erbarmer, dem Barmherzigen, dem König am Tag des Gerichts! Ich bin Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd al Gossarah! Ich stamme aus einem Lande, das viel größer ist und auch viel schöner als das eure. Es heißt Arabien. Dort habe ich die Schriften meines Sihdi gelesen, der von euch Old Shatterhand genannt wird, aber in Wirklichkeit Kara Ben Nemsi heißt. Er beschreibt alle eure Bräuche und Riten, denn er kennt sie genau, und alle eure Worte und Gedanken gibt er wieder, was ihr gar nicht verdient, denn ihr wißt ihn nicht zu würdigen. Hamdulillah! Mit seinen Büchern habe ich ein Dromedar vollgepackt und bin damit durch die Sahara gezogen, die sich
weiter dehnt als die Grasflecken, die ihr als Prärie verherrlicht. Ich bin darum nicht nur ein Krieger, sondern auch ein Studierter, ein Gelehrter, ein Weiser. Doch was muß ich sehen? Statt Kara Ben Nemsi zu ehren und ihn als euren Bruder zu achten, haltet ihr Gericht über ihn! Euer Urteil steht wohl längst schon fest, allein um das Strafmaß schachert ihr noch. Was immer ihr zu beschließen vortäuscht, ich weiß es längst, denn vor mir ist kein Geheimnis sicher, keine List, keine Niedertracht. Da sitzt ihr und wiegt den Kopf. Ihr tut, als müßtet ihr euch beraten. Aber was dabei herauskommen wird, ahnt jedes Kind: Den Effendi Washburn und seine Karawane werdet ihr freigeben, nur um dem Manne, den ihr Ma-ta-weh ruft, einen Gefallen zu tun. Aber habt ihr keine Augen, besitzt ihr keine Ohren? Dieser dunkle Mensch erfrecht sich, meinem Sihdi zu gleichen! Seine Gestalt, sein Gesicht, seine Stimme, selbst sein Haar und seine Barttracht, alles hat er von ihm gestohlen. Er wird noch viel mehr stehlen, und zwar euer Land und eure Oasen. Er wird die Wadis jenes Gebietes namens Yellowstone verheeren und seine wundersamen Wasserspeier vernichten, um reicher zu werden als selbst der Dey von Algier. Sogar das Fräulein Alma will er an sich reißen, um sie in seinen Harem zu stecken. Und was wird aus uns, aus mir und Effendi Hirtreiter, der übrigens auch einen Kriegsnamen besitzt und sich To-na-ka-pah nennen darf? Ermordet sollen wir werden, zusammen mit Kara Ben Nemsi oder eben Old Shatterhand. Um eure Freude daran noch zu erhöhen, werdet ihr ihm Prüfungen aufgeben, ihn um unser Leben kämpfen lassen, gegen einen oder mehrere von euch. Wie das vor sich geht, weiß ein jeder, der die Bücher meines Sihdi gelesen hat: Zweikämpfe wird es geben, mit Messer, Beil, Seilschlinge oder Speer. Womöglich verfallt ihr noch auf die Idee, ihn mit Zehen, Füßen oder Ellbogen antreten zu lassen, nur um euch vor seiner größten Stärke zu hüten: vor seinen Fäusten. Denn diese scheut ihr wie der Scheitan die Liebe und wie das Licht die finstere Dschehenna. Hört weiter, ihr Männer vom Stamme der Schoschonen, die euch von Kairo bis Damaskus, von Bagdad nach Stambul niemand kennt. Zum ersten
Male bin ich in eurem Lande, und schon enttäuscht ihr mich. Bevor ich hierherkam, war ich ebenfalls gefangen. Ich befand mich in den Händen eines Schurken, eines noch viel größeren als eurem Ma-ta-weh. Er heißt Abu Saleh oder auch Vater des Teufels, und seine Krieger heißen Askaris. Obgleich er ein Verbrecher ist wie euer sogenannter Bruder, haust er nicht wie ihr in Zelten; er besitzt einen Palast mit einem Mohren darin. Bei ihm tanzen auch nicht die Männer, sondern die Mädchen, wie es sich gehört, und die Folter, welche hier wie dort am Pfahle vollzogen wird, versieht bei
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