Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
ihm nicht das Volk, sondern ein einziger Knecht. Doch genau wie er verkennt ihr, daß man die Stärke eines Feindes nicht an seinem Wehklagen mißt, sondern an dem Nutzen, den er zu bringen vermag – als Lebender! Wie lang weilen mich darum eure Messer, eure Äxte, eure Stricke, eure Speere und Flinten und Bogen. Beim Barte des Propheten, ich habe einen Auftrag zu erfüllen, und daran lasse ich mich nicht hindern, und wenn ihr eure Gesichter noch so dick mit Farbe bemalt. Ihr mögt euch an diesem See für den Winter rüsten; aber meine Rückkehr in die Wüste wird sehnlicher erwartet als der Schnee, darum hört meinen Vorschlag: Kara Ben Nemsi oder Old Shatterhand ist auch ein großer Arzt, ein Hakim. Nach seiner Lehre habe ich kürzlich einem Verwundeten eine Gewehrkugel aus dem Leibe operiert, seht her, mit diesen Händen. Was euch unmöglich erscheint, machen Leute wie wir möglich, und deshalb sage ich: Meßt euch mit meinem Sihdi nicht mit Waffen, fordert ihn in der Heilung eurer Kranken! Wer etwa einen Blinden sehend macht, der übt die stärkere Magie aus, der ist der größere Zauberer. Ein solcher mag freigehen und seine Begleiter mit ihm. Ich würde gern bleiben und euch Ungläubige bekehren, aber ihr seid für Allah, den Allmächtigen, noch nicht reif. Falls euer Manitou euch nur ein weniges an Verstand eingegeben hat, müßt ihr auf mich hören: Stellt ihr Old Shatterhand auf die Probe, wird Kara Ben Nemsi sie meistern. Prüft aber auch Ma-ta-weh. Gebt ihm nicht die Goldene Squaw an die Hand, denn sie hat einen Besseren verdient – meinen Sihdi. Dies alles sagt euch nicht irgendwer. Dies sagt euch ein
Mann, der daheim selbst ein Häuptling ist, ja noch viel mehr, nämlich Scheik der Krieger vom Stamme der Haddedihn!«
So sprach Halef, und als Zeichen seiner Unbeugsamkeit reckte er die gefesselten Hände empor. Unter dem Staunen seines roten Publikums kehrte er unbehelligt zurück zu mir, der ich ihn zärtlich wie einen Sohn in die Arme schloß.
Welch ein Heldenmut! Der sich da so unerschrocken gezeigt hatte, war kaum mehr der leichtfüßige Beduine, als der mir Halef in Erinnerung geblieben war. Sein Handeln zeugte von der Reife und Gestandenheit eines erwachsenen und erfahrenen Mannes. Ich darf mit Recht behaupten, daß er gut von mir gelernt hatte.
»Sihdi, war ich gar zu verwegen?«
»Nein, Halef, du warst großartig!«
»Du befürchtest keine Nachteile für uns?«
»Im Gegenteil, man wird sich deine Worte zu Herzen nehmen. Du hast so laut gerufen wie ein Muezzin 80 , so eindringlich gesprochen wie ein Imam 81 und so klug argumentiert wie ein Mufti 82 .«
O wie Halef da strahlte!
Auch Hirtreiter, der »Herr der Kochtöpfe«, war voll des Lobes über seinen neuen Freund. »Sappradi! Wie Ihr zwischen die Indianer getreten seid, einen jeden einzelnen fixiert und niedergestarrt habt – richtig energisch wart Ihr, genau wie mein Johann Rottenhöfer, und so beherzt wie mein junger König. Respekt!«
Die Schoschonen indes wußten Halef nicht recht einzuschätzen. Sein Habitus widersprach so sehr dem der Bleichgesichter, die sie bislang zu Gesichte bekommen hatten. Aber denselben ist der Indianer weit voraus, was Weltsicht und Toleranz betrifft. Sie kennen keinen Wahnsinn, nicht einmal Verschrobenheit. In ihren Augen hat jeder Mensch, jedes Tier, sogar jede Sache ihren Willen, der Achtung verdient. Je länger der seltsame kleine
Gefährte Old Shatterhands gesprochen hatte, desto aufmerksamer hatte man ihm zugehört. Seine Ansprache hatte einen gewissen Widerwillen berührt – gegen Hayes, gegen Ma-ta-weh.
Als ich gemerkt hatte, worauf Halef zusteuerte, da konnte ich nicht umhin, seinen Weitblick zu bewundern. Buchstäblich diesen, denn einen Blinden sehend zu machen, damit konnte ja nur einer gemeint sein: Scha-na-tse, der Medizinmann. Keineswegs bin ich ein Arzt, wie Halef und überhaupt viele Orientalen nicht müde werden, mich zu rühmen. Doch so viel hatte ich erkannt und eben auch mein treuer Freund, daß nämlich Scha-na-tse, genau wie Everts, fehlsichtig war. Der eine wie der andere bedurfte auf die Nähe einer Brille oder war eben blind. Daß ich dem Kauz und Steuereintreiber mit einem Paar Gläser ausgeholfen hatte, das wußte Halef bereits. So sehr hatte dieses leicht erklärbare Wunder sich ihm eingeprägt, daß er daraus eine Herausforderung gemacht hatte: Würden die Indianer darauf eingehen?
Es war jetzt an mir, ein paar Worte zu sagen. Ich richtete sie an den Häuptling, wobei
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