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Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Titel: Hadschi Halef Omar im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Hohenthal
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Zusammen müssen sie die Berge überwinden und die Wasser durchschwimmen, nichts darf sich zwischen sie drängen – nichts und niemand.
Die Zeichen sagen: Wenn Old Shatterhands Hände sich wie die Scha-na-tses anfühlen, wird der Wind für Ma-ta-weh den Totengesang anstimmen. Old Shatterhand wird einen Berg umarmen, aber noch nicht sein Glück!«
    So rätselhaft beschied mich der Medizinmann. Dann ließ er mich stehen, entfernte sich aber noch nicht. Vielmehr wählte er aus der Anzahl unserer Reiter ausgerechnet Halef, auf den er zuschritt, so sicher und kraftvoll, als wäre er eben einem Jungbrunnen entstiegen. Aus seinem übergroßen Brustbeutel zog er ein fransengeschmücktes Ledertäschchen hervor, welches er Halef in die arglos dargereichte Hand drückte, sie ihm aber sogleich verschloß.
    »Scha-na-tse sieht und fühlt, daß du keiner von den Weißen bist. Du bist anders, du bist besonders, doch trägst du deine wahren Farben nicht. Wenn du dich wieder in deinem wahren Kleide zeigst, wird Old Shatterhand wieder froh sein. Er liebt dich wie einen Bruder. Liebe auch du ihn, und schütze sein Leben, wenn ihm Gefahr droht!«
    Ein letztes Knurren, und der Seltsame verschwand zwischen den Bäumen.
    Ich ging zu Halef, der wie versteinert auf seinem Pferd saß. Gleich Scha-na-tse drückte ich seine Hand, die besagtes Täschchen umklammerte.
    »Sihdi, was bedeutet das?«
    »Du hast ein Totem geschenkt bekommen, Halef. Das ist ein Geisterzeichen, das dich beschützen soll. Woraus es besteht, darfst nur du wissen, allein für deine Augen ist es bestimmt. Auf jeden Fall soll es dir Glück bringen, dich aber auch erhellen. Mehr noch, Scha-na-tse sprach in der zweiten Person mit dir statt, wie bei den Roten üblich, in der dritten. Damit hat er dir besonderen Respekt bezeugt.«
    »Mehr Respekt als dir, Sihdi? Du allein verdienst eine solche Würdigung, wie erst ein solches Geschenk!«
    »Aber Halef, ich besitze längst ein Totem. Es ist in dem Beutel
verborgen, der an meinem Halse hängt. Du ahnst, von wem ich es habe?«
    »Gut, Sihdi. Aber was ist damit gemeint, daß ich auf dich achten soll? Es bedarf keiner solchen Ermahnung, ich tue dies immerfort; fünfmal am Tage flehe ich zu Allah, daß Kara Ben Nemsi sich endlich zu ihm bekehrt. Aber hier bist du Old Shatterhand und hast uns gerade vor dem Tode bewahrt. Oder bist du sogar noch ein dritter, ein noch viel stärkerer Held, und hast mir nur noch nicht davon erzählt?«
    Ich sagte nichts dazu, Scha-na-tses Prophezeiung gab mir zu denken. Gespannt, wie Halef dessen Auftrag erfüllen und wann er sein Wüstengewand wieder anlegen werde, stieg ich in den Sattel. Damit ließen wir das Schoschonenlager endgültig hinter uns.

    In den wenigen lichten Momenten unserer Existenz erkennen wir, wie gnädig die Schöpfung ist, da sie uns mit dem wirksamsten Mittel gegen all unsere Ungeduld, gegen unseren Schmerz und unseren Kummer ausgestattet hat. Was manche mit Hilfe eines Rausches zu ersticken suchen, manche durch das Gegenteil, mit allerhöchster Nüchternheit, ist am einfachsten und gesündesten durch etwas viel Simpleres zu erhalten: Schlaf. In meinem Leben waren es in Perioden anhaltender Anspannung oftmals Viertelstunden gewesen, in denen ich in ohnmachtsgleichen Schlummer fiel, welcher sich hinterher als nur von wenigen Minuten Dauer herausstellte. Aber wie erquickend waren jeweils diese traumlosen Absenzen! Noch die kürzeste Spanne Zeit, in der man sich von seinen Sorgen suspendiert, bringt einen ihrer Lösung näher. Immer habe ich im Schlafe nicht nur Erholung gefunden, sondern auch eine rettende Idee, einen zündenden Einfall oder – ich scheue mich nicht, es so zu nennen – eine göttliche Eingebung. Was sich im Wachen nicht greifen läßt, das ergreift uns, sobald wir nur die Augen schließen.
    Viel besser als der Mensch kennt die Natur ihre Ruhezeiten, die
Unterscheidung von Frühling , Sommer, Herbst und Winter wäre noch zu kurz gegriffen, um dies zu belegen. Ist nicht allein der Wechsel zwischen Tag und Nacht jedesmal eine Zäsur? Wie anders zeigt sich uns das Leben zwischen der Dämmerung am Morgen oder am Abend? Und wie wenig sinnvoll ist es, einen bestimmten Zustand zu beklagen, wo er, wenn nicht gleich im nächsten Augenblick, so doch von der einen auf die andere Tages- oder Nachthälfte ein anderer werden kann?
    So weiß und macht es jedes Tier, jeder Grashalm, eine jede Zelle. Sie ruhen beizeiten oder werden zur Ruhe gebettet. In nördlichen Gefilden

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