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Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Titel: Hadschi Halef Omar im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Hohenthal
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deckt der Schnee über Monate oder auch nur Wochen sein weißes Tuch über alles Wachstum, auf daß darunter Ruhe herrsche und alles sich erhole; an südlichen Gestaden brennt die Sonne weniger stark, und der Wellengang des Meeres zwingt alles Leben darunter und darüber zum Einhalten.
    Gleich nachdem wir dem Ocean Lake den Rücken zugekehrt hatten, dem See und den Ereignissen einer ziemlich durchwachten Nacht, da wurde auch uns ein solches himmlisches Geschenk zuteil. Endlose Formationen braungrauer Wolken sandten uns Regen, tagelang, nächtelang, dazu wehte ein warmer, aber nicht unbedingt angenehmer Wind. Ob ich mich oder einer unseres Zuges sich darüber beklagt hätte?
    Nicht im geringsten. Froh war ein jeder und dankbar, auf diese Weise seinen Gedanken Audienz erweisen zu können. So vieles harrte der Einordnung, und auch wenn damals der Regen monatelang hätte währen können, mir über alles, was mich bewegte, Klarheit zu verschaffen, so verschaffte mir dieser nasse Segen buchstäblich Reinigung und Erfrischung. Wie sehr, wurde mir erst bewußt, als ich in der Frühe des siebten Tages erwachte und meine Decke und Kleidung trocken fand: Jene »Pause« war vorüber.
    Jagten wir nicht einem Manne hinterher, dessen Pläne es zu durchkreuzen galt? Ich fühlte mich vielmehr wie nach einem Kurbade, voll neuer Spannkraft. Das vermeintlich eintönige Dahinschnüren
hatte mir gutgetan, und den Gefährten ging es nicht anders.
    Von wie weit her waren wir gekommen!
    Der eine stammte vom alten Sachsen her, der andere aus Bayern, ein weiterer kam aus dem noch viel älteren Afrika beziehungsweise der Sahara, der größten Wüste der Welt. Wohl waren die meisten unserer Mitreisenden in der Neuen Welt geboren, allein der herausragendste von uns allen war wirklich Amerikaner – Winnetou, dessen Mescalero-Apachen ihre Jagdgründe im Südwesten der Vereinigten Staaten haben. Wir nun befanden uns im Nordwesten von Wyoming, einem Territorium dieses noch immer unbegreiflichen Landes, das diesen Namen gerade einmal seit ein paar Jahren trug. Endlich hatten wir den Yellowstone River erreicht, und kaum daß wir wegen des Regens überhaupt die Transformation bemerkt hatten, wirkte deren Veränderung um so mehr auf unsere Sinne. Hier oben hatte in diesem Jahr der Herbst früh begonnen, er war schon weit fortgeschritten. Anders als am Ocean Lake brannte das Laub in seinen tausend Schattierungen aus Rot und Gelb, und doch spie uns die wiedererwachte Sonne noch ihre ganze Leuchtkraft entgegen. Wiesen, an denen unsere Tiere ausgiebig grasten, atmeten die Reste der Spätsommerwärme, überall brachen Rinnsale aus der Erde hervor, geheimnisvoll flüsterten die Gewässer; alles rüstete sich für die lange Stille, die der Einzug des Winters über die Rocky Mountains bringen würde.
    Auch der Wind war nicht mehr nur zu spüren, er ließ sich hören, und die wichtigste Botschaft seines Rauschens lautete: Frieden!
    Frieden – seit Jahrhunderten kannte diese Urwelt Menschen roter Hautfarbe. Es gab in ihr keine Siedlungen der Weißen, keine sogenannten Pflichten und auch kein sogenanntes Gesetz, folglich niemand, der dagegen hätte verstoßen können. Ob Wolf, Büffel, Bär und Hirsch, ob Fuchs, Wiesel und Biber, ob Pelikan, Kleiber, Reiher oder Boa, Salamander, Viper und Kröte – vermutlich hatte noch nie ein Zweibeiner ihre Ruhe gestört. Schutz bot ihnen nämlich ein Drache, der im Hunderte Fuß hinabreichenden Erdreich
hauste, vielleicht auch Tausende Fuß, seinerzeit wußte es niemand genau zu sagen. Diesem Drachen gefiel es, mehrere Male am Tage Wasser zu speien, aus allen seinen unzähligen Nüstern gleichzeitig. Wer oder was seinem heißen, schwefligen Atem zu nahe kam, war verloren. Mit über zweihundert Grad Fahrenheit wurden einmal die Temperaturen seiner Wasser angegeben, war doch das Phänomen der Geysire noch ein weithin unerforschtes. Wen das Untier nicht verbrühte, den konnte es durchaus erschlagen; Sicherheit vor seinen herabpolternden Steinmassen, die jedesmal auch das Angesicht der Umgebung veränderten, gab es nicht, und das Biest regte sich oft.
    Auch konnte man auf sicher geglaubtem Boden plötzlich einsinken. Dann hatte man, ohne es zu ahnen, auf trügerischem Sumpfboden gestanden. Oder man stürzte, genauso überraschend, in die Unendlichkeit, weil man auf eine mit Grassoden bewachsene Steinplatte getreten war, die schon ein paar Jahrhunderte auf diese Gelegenheit gewartet hatte.
    Noch verteidigte der Yellowstone

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