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Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Hadschi Halef Omar im Wilden Westen

Titel: Hadschi Halef Omar im Wilden Westen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Hohenthal
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in die Geheimnisse seines Volkes eingeweihte Mensch.
    Als einen solchen hatte ich auch Scha-na-tse zu betrachten. Ich stieg deshalb vom Pferd, ließ es hinter mir und ging grüßend auf den bebrillten Mann zu.
    »Old Shatterhand«, raunte er mir entgegen. »Old Shatterhand – – – «
    Als ich Scha-na-tse gegenüberstand, streckte er seine mit ersten Runzeln überzogene Hand nach mir aus. Ich ließ es zu, desgleichen, daß seine langgliedrigen Finger über meine Stirne, meine Augen, meine Nase strichen, über meine Lippen, mein Kinn und zuletzt über meinen Hals. Eingehend starrte mir der Medizinmann in mein mit Bartstoppeln übersätes Gesicht.

    »Noch so jung ist Old Shatterhand, so jung. Und endlich kann Scha-na-tse nicht nur fühlen, wie er aussieht. Genau so habe ich mir Ma-ta-weh vorgestellt, und doch – – – «
    » – – – und doch, großer Medizinmann, ist dieser ein ganz anderer.«
    »Ja, Old Shatterhand, die Sonne ist in meine Augen zurückgekehrt. Ma-ta-weh hätte diesen Zauber gewiß auch vermocht, aber er verweigerte ihn mir.«
    »Donnerwolke war sein Werkzeug«, sagte ich. »Aber ihr dürft ihn darum keinesfalls verstoßen. Ma-ta-weh hat so viele andere geblendet.«
    Ein weiteres Mal betasteten mich die neugierigen Finger, und durch die dicken Brillengläser glühten mich zwei schwarze Augen an.
    »Immer großmütig ist Old Shatterhand mit seinen Feinden, seien sie weißer oder roter Hautfarbe. Der Große Geist gibt ihm diese Milde ein, wie er ihn im selben Maße stark und unbezwingbar geschaffen hat. Old Shatterhand wird Ma-ta-weh bezwingen, Scha-na-tse kann es sehen!«
    Er lächelte, war sich also der Doppelbedeutung dieses Wortes bewußt.
    »Scha-na-tse«, sagte ich, um mich loszumachen. »Wir müssen Abschied nehmen. Als Gefangene sind wir zu euch gekommen, als eure Verbündeten reiten wir aus. Wir wollen den Mann finden, der so viel Unheil über euch gebracht hat. Sieht Scha-na-tse Zeichen, was weiterhin geschehen wird?«
    Mit dieser Frage zielte ich auf eine mögliche Eingebung dieses Herrn der Tränklein und Pülverchen ab. Wie bei den Oraklern der alten Griechen vermutete ich auch in ihm den gewieften Taktiker, als der er sich in Ansätzen ja bereits gezeigt hatte. Was immer nämlich so ein roter Medizinmann für wünschenswert hält, »sieht« er in seinen ekstatisch verbrämten Tänzen voraus, mit oder ohne Sehhilfe. Oft genügt es schon, den Blick einfach ins Ungefähre zu wenden, von woher das Wünschenswerte sich genausogut
ableiten läßt. Oder er »liest« in Tierknochen, in den Steinen, im Sand oder aus den Wolken.
    So geschah es auch jetzt, so tat es auch Scha-na-tse. Ganz steif machte der Büffelköpfige seinen Oberkörper, schwankte rhythmisch nach links und nach rechts, um uns allen die Schwere seiner Aufgabe zu verdeutlichen. Abermals nahm er seine Hände zu Hilfe; gemeinsam spannten sie sich über mein Gesicht. Langsam und geradezu zärtlich wanderten sie auf meine mit dem ledernen Jagdhemde bekleideten Schultern hinab, weiter über meine Brust und meinen Bauch, wechselten zu meinen Ober- und Unterarmen und zu meinen Händen und Fingern; mit all meinen Extremitäten beschäftigte sich Scha-na-tse, prüfte dieses und jenes in einer Ausführlichkeit, die peinlich hätte sein können, wäre er nicht ein Naturbursche, eine geistliche Kapazität gewesen. Über sein strebsames Tasten legte er seinen Singsang:
    »Als die Herden der Büffel noch die Sonne verdunkelten und als die Mustangs mit ihren Schatten noch die Ebene bedeckten und als die Bleichgesichter uns in den Wäldern so selten gegenübertraten wie ein Grizzly mit hellem Fell, da trug Scha-na-tse noch einen anderen Namen. Zu jener Zeit war seine Haut noch so glatt wie die von Old Shatterhand, und sein Blick war so klar und frei wie der seine. Seit vielen Sonnen schon ist Scha-na-tse nicht mehr zur Jagd geritten, erst recht nicht zum Kampfe. Sein Auge ist trüb geworden, wenn auch nicht vollends dunkel. Aus dem Krieger wurde der Medizinmann, dessen Rat von seinem Stamme gehört wird. Old Shatterhand ist zu den Schlangen gekommen, so jung und kräftig, wie auch Scha-na-tse es einmal gewesen ist. Der weiße Bruder Winnetous hat nicht nur gute, treue Augen, sie sind noch scharf, denn sie sehen durch die Dinge hindurch. Auch er wird eines Tages seinem Volk ein Schamane sein, wenn es bereit ist, seine Worte zu hören und sie zu begreifen. Zuvor muß Old Shatterhand weiter mit Winnetou über die Prärie streifen.

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