Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
Oft wappnet sich ja auch der Gegner mit solchem Gleichmut und läßt es folglich an Aufmerksamkeit fehlen. In Dutzenden von Situationen habe ich erlebt, daß sich in Gefangenschaft über lang oder kurz immer eine Gelegenheit bietet, jede noch so fatale Lage zu wenden.
Das Bemerkenswerte an der somit beendeten »Schlacht« war es, daß bis auf die unbedeutende Verwundung des Askari von niemand Blut geflossen war. Ohne das verwegene, fast selbstmörderische Eingreifen Halefs und Sir Edwards und ihre Ablenkung der Räuberbande wäre es zu dem üblichen Gemetzel gekommen. Sich darüber hinaus die Askaris mit Hilfe einer trickreichen Vorstellung günstig zu stimmen war ein rechtes Bubenstück. Halefs Gewitztheit hatte zahlreichen Menschen das Leben gerettet. Es galt nun, das Beste zu hoffen und das Weitere abzuwarten.
Eingefaßt von den Askaris, machte die Karawane sich zum Aufbruch bereit. Ehe es fortging, kniete alles noch zum Dhur nieder, dem gemeinsamen Mittagsgebet, denn den Regeln des Korans folgten Freund und Feind. Der ohne Waffengewalt besiegte Karawanenführer machte den Muezzin, den Ausrufer, und zur Verwunderung von Sir Edward sah man daraufhin Sieger und Besiegte dieselbe demütige Haltung einnehmen, hörte sie dieselben demütigen Gebete sprechen, denselben Gott um Schutz und Erlösung anflehen.
Die Sonne hatte ihren Höchststand überschritten. Dem dauerhaft fächelnden Winde zum Trotz war die Hitze unerträglich. Einen Schwenk in nordöstliche Richtung vollziehend, fort von der Linie an das ersehnte Ziel, Algier, ging es auf Dschunet zu, der einzigen Oase weit und breit. Jetzt wurde deutlich, was es mit der zuvor beobachteten Niedergeschlagenheit des Zuges auf sich hatte. Durch die Wüste marschieren zu müssen und auf Wasser angewiesen zu sein, das die Bewaffneten für sich beanspruchten, war schlimm genug. Jedoch die Oase und somit Wasser und Nahrung in der Nähe zu wissen und sie dennoch meiden zu müssen bedeutete eine noch viel schlimmere Pein.
Erbarmungslos trieb Faris Abbas Mensch und Tier zur Eile. Blieb einer zurück oder fiel aus dem Zuge heraus, kam rücksichtslos die Peitsche zum Einsatz. Den Gefangenen sollte die Härte vor Auge geführt werden, die sie erwartete, falls sie sich weigerten, das zu verhandelnde Lösegeld zu entrichten. Daß dieses sich auf einen empfindlichen Betrag belaufen würde, stand außer Zweifel.
Stunde um Stunde kroch der Menschenwurm dahin.
Nur für Minuten wurde haltgemacht, um den Menschen die Gelegenheit zur Notdurft zu geben oder Wasser aus den mitgeführten Vorräten zu trinken. Dann, kurz vor der Zeit des Asr, des Nachmittagsgebetes, war es soweit.
Erst blinzelten vereinzelt Grashalme aus dem Sande hervor, dann sprossen vermehrt Büsche aus ihm heraus. Sicheldünen wechselten mit Sterndünen; immer weicher und sanfter bettete sich die Wüste, vergaß Kies, Schotter und Dünen: Das Ödland wurde zur Landschaft. Kleinwüchsige Zypressen warfen ihre kümmerlichen Schatten und wechselten ab mit schüchternen Palmen, ehe die Farbe Grün sich ernsthaft behaupten konnte und sich mit anderen Farben mischte. Akazien blühten, Ginster und Hibiskus dufteten – Dschunet war erreicht.
Nun belebten sich selbst die Gesichter der Gequälten.
Von überall her krachten Flinten- und Pistolenschüsse; hinter Schanzungen gleichenden Palmenreihen stoben Haufen abenteuerlich
aussehender Gestalten hervor, teils zu Fuß, teils auf Kamelen, sogar auf Eseln trabten sie herbei. Lärmend umströmten sie die Karawane. Deren Bedeckung deutete auf einen großen Fang, da wollte niemand abseits bleiben.
Wieder bewies sich die Autorität Faris Abbas’. Bevor nur die erste schmutzige Hand heran war, sorgte er für ein Innehalten der Meute, indem er mehrere Male in die Luft schoß. Dabei bediente er sich eines der Revolver Halefs, welche er sich, als seine bisher einzigen Beutestücke, einverleibt hatte.
Diese unmißverständliche Warnung wirkte.
»Geduld, Brüder! Ein jeder erhält, was ihm zusteht. Wieviel genau, wird unser Herrscher und Bewahrer festlegen. Preist unseren Emir! Preist Abu Saleh, genannt Abu Scheitan 16 !«
Das ohrenbetäubende Spektakel, das daraufhin einsetzte, huldigte ebendiesem einen Manne, dessen Kunya 17 allein schon eine fragwürdige war: »Vater des Teufels« – welch ein Charakter konnte Ehre darin finden, sich mit einem solch abscheulichen Titel zu schmücken?
Der Lobpreisung des Genannten zuliebe wurde allseits noch ein wenig die Luft durchsiebt.
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