Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
sich aber sogleich in sein dunkles Versteck zurück.
»Dies, ihr Männer, ist mein Schutz! Kommt es zum Äußersten, weiß ich mir zu helfen.«
»Ja, du hast Mut«, sagte Halef achtungsvoll. »Um also deine Ehre zu bewahren, willst du dich nötigenfalls selbst töten?«
»Wie bitte? Mich selbst töten? Ich denke nicht daran! Um meine Ehre zu bewahren, töte ich Saleh. Mein Vater hat mich vor der Gefährlichkeit der Viper gewarnt, doch mir tut sie nichts; ich habe sie aus ihrem Ei befreit. Will jemand sich an mir vergreifen, wird sie mich verteidigen!«
»Höre, Tapfere, selbst wenn du Saleh bezwängest, bekämst du den Zorn Aidschans oder Faris Abbas’ zu spüren.«
»Das macht nichts. Im Gegensatz zu ihnen allen vertraue ich auf Gott, selbst wenn sie ihn Allah nennen. Wir wollen sehen, welcher der stärkere ist.«
Halef äugte zu den Wachen, die ob der Unterbrechung ihrer Pflichten fröhlich scherzten und eine Pfeife kreisen ließen. Also fuhr er fort:
»Du sprachst von deinem Vater. Wo ist er?«
»Er und meine Mutter werden in einem Zelte gefangengehalten, drüben, bei den Dattelpalmen. In deren Nähe befinden sich auch die gefürchteten Gruben. Dort hinein steckt Saleh alle, die für ihre Freilassung nicht genug bezahlen wollen oder sich ihm widersetzen. Die Verhältnisse sind entsetzlich. Zu viele Menschen teilen sich jeweils eine winzige Grube, deren Höhe kaum hinreicht, um darin gerade zu stehen. Auch wimmelt es von Ungeziefer, und der Blick zum Himmel ist eine Qual, weil über jede der Gruben ein hölzernes Gitter gelegt ist. Darauf brennt den ganzen Tag die Sonne, aber Wasser gibt es nur zweimal, und auch nur für die, welche es sich leisten können, die Wärter zu bestechen. Saleh trägt seinen Kriegsnamen zu Recht, er ist wirklich der Vater des Teufels. Mehr noch, er ist der Schlimmste der Schlimmen!«
Halef drängte zur Eile.
»Beeile dich, Mädchen, und sage noch, wie ihr hierherkamt.«
»Es geschah vor einigen Wochen. Von Tamanrasset aus waren wir einer Handelskarawane beigegeben, zu unserem Schutze, wie wir dachten. Aber in dem Zuge befanden sich Verräter, welche die Reisenden nach Osten ablenkten. Eines Abends, unweit dieser Oase, wie wir später erfuhren, da betäubten sie meinen Vater und die anderen Männer mit Hilfe eines Schlaftrunkes. Somit wurde es den Mordbuben leicht, uns im Verbund mit Faris Abbas’ Soldaten zu überwältigen. Wer erwachte und sich wehrte, wurde an Ort und Stelle niedergemacht; wer seinen Verletzungen nicht erlag, wurde in Fesseln geschlagen und als Sklave nach Algier verkauft. Etliche der jungen Männer gingen frei, indem sie zu Salehs Garde übertraten. Uns verschonte man, weil wir als Geiseln gelten, wertvoll genug, vielleicht ausgelöst zu werden.«
»Hat man euch etwas zuleide getan?«
»Anfangs behandelte man uns ordentlich. Aber bald begann
Saleh, ein Auge auf mich zu werfen. Um ihn milde zu stimmen, beging ich den Fehler, einige Schritte für ihn zu tanzen. Seitdem verfolgt er mich. Er läßt mir die besten Speisen servieren, aber ich will nicht essen. Seine neueste Grausamkeit ist es, dafür meine Eltern hungern zu lassen. Also esse ich doch. Wie gut, daß meine Schwester nicht mitgefangen wurde.«
» Thank God, sie vermochte zu fliehen?« erkundigte sich erstmals Sir Edward.
»Aber nein. Das ist ja das Gute, zugleich auch das Traurige: Meine Schwester befindet sich ebenfalls auf Reisen. Mein Vater wollte als nächstes nach den Vereinigten Staaten. So ist sie, die ältere von uns beiden, vorausgereist. Sie erwartet uns, weiß aber nichts von unserem Schicksal und kann uns darum keine Hilfe senden.«
»Höre«, sagte Halef, nachdem er sich kurz bedacht hatte. »Willst du uns nicht auch verraten, was es mit deinem Vater auf sich hat? Wer ist er, daß er sich in die Wüste begibt und dich und deine Mutter mitnimmt, indessen seine zweite Tochter allein nach Amerika reist? Bitte, habe Vertrauen. Öffne dich uns, vielleicht vermögen wir euch zu helfen.«
»Warum nicht? Ihr habt ein ehrliches Gesicht und ehrliche Augen. Ich weiß zwar nicht, wie ihr uns beistehen wollt, seid ihr doch wohl selbst Gefangene. Aber gut: Mein Vater ist Archäolog.«
»Goodness me«, erhitzte sich Sir Edward. »Archäolog ist Euer Vater? Nennt mir seinen Namen, Miss. Vielleicht kenne ich ihn!«
»Falls Ihr Kollege seiner Wissenschaft seid, ist das denkbar. Er heißt Hans Gustav Grüner und stammt aus Dänemark. Aber meine Mutter sowie meine Schwester und auch ich, wir
Weitere Kostenlose Bücher