Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
die Irre zu leiten. Ich weiß bestimmt, daß sich in dem alten Fort kein einziger Soldat mehr befindet. Wenn das Mädchen seine Eltern dort vermutet, wird es sehr enttäuscht sein, und wir gewinnen ein paar Tage bis zum Wiedersehen – Höllenbiest oder Engel, das schöne Kind schnappe ich mir!«
»Gut, Hayes, so weit das Mädchen. Aber den Mexikaner, der ihm bei Faffle gegen Euch beisprang, den habt Ihr gründlich unterschätzt. Seinen Dolch möchte ich nicht an der Brust gefühlt haben, so wie Ihr.«
»Unfug. Ich habe nur so getan, als ob ich mich besiegen ließe. Noch nie habe ich einen echten Kampf verloren, wer wüßte das besser als du. Aber sage nicht immer Mexikaner, nichts weniger war er als ein solcher.«
»So? Was dann?«
»Alle habt ihr euch in ihm getäuscht. Der tumbe Koch kam der Sache noch am nächsten, indem er von einem Mauren sprach, doch auch das trifft es nicht; die Hautfarbe dieses Kerls war heller. Nein, Kilmer, ich sage dir, wir hatten es mit einem Beduinen zu tun.«
»Hier im Wilden Westen?«
»Na und? Wir beide, du und ich, sind doch auch jenseits des Meeres geboren.«
»Schon, aber wir sind keine Beduinen und Moslems. Europäer sind wir und Christen.«
»Christen? Du und ich?«
Einmütig gaben beide Männer ein unterdrücktes, schmutziges Lachen von sich, wie sie überhaupt ihr Gespräch mit Ausdrücken würzten, die ich nicht wiedergeben will. Gleich war Hayes wieder obenauf:
»Von überallher drängte es die Menschen nach Amerika, weshalb nicht einen aus dem Norden Afrikas?«
»Aber was will so einer hier? Er trug noch nicht einmal Westkleidung!«
»Ja, Kilmer, da staunst du. Anstatt Fransen und Gamaschen trug er Wüstentracht, einmal Pluderhosen, ein andermal einen Kaftan. Beides schützt tags vor Hitze wie nachts vor Kälte. Denke an Faffles Koch. Unter seiner Schürze trägt er bayerisches Leder – hat man dir in Hamburg immer nur die dümmsten Heringe vorgesetzt, daß du dir einen Beduinen nicht im Wilden Westen vorstellen kannst?«
»Und Ihr, Hayes? In Dresden gab es für Euch nicht viel zu lachen – – – «
»Vorsicht, Kilmer! Wenn ich abermals finde, daß du mich erpreßt, müßte ich – – – «
»Was müßtet Ihr dann, Milton Hayes alias Walter Heise? Mich töten, wie Ihr es drüben schon einige Male geübt habt und auch ich es für Euch üben mußte? Oder mich anzeigen, unschädlich machen?«
»Was du redest!« keuchte Hayes. »Verwarnen müßte ich dich! Wenn du nämlich noch ein einziges Mal – – – «
Ich stand weiter hinter der Bretterwand und hielt mein Ohr daran gepreßt. Für den Moment hörte ich die Männer weitersprechen, aber den Inhalt ihres Disputs nahm ich nicht mehr wahr, so verwirrt war ich.
Diese Stimme – diese Stimme – –
Das Aussehen eines Menschen mag sich mit dem Alter verändern; der Dünne legt an Leibesumfang zu, der Dicke legt ab; allerhand Zipperlein vergraulen uns die letzten Jahre und lassen uns gebeugt gehen oder schleppenden Schritts – aber eines bleibt doch bei einem sein Lebtag fast unverändert: die Art, wie er spricht. Tonfall, Timbre, ein bestimmter Akzent, Ausdrucksweise, Färbung – was der Mensch ist, ist er am meisten durch seine Stimme, viel weniger durch sein Gesicht. Gewiß, diese Stimme hier, in dem von mir zufällig aufgesuchten Stalle, diese Stimme hinter den dünnen Latten und den Balken – so unglaublich es klingt, ich hätte schwören können, meine eigene zu hören! Aber ich durfte mich jetzt nicht in Überlegungen verlieren; nebenan ging es nicht gerade um Zahnschmerzen. So zwang ich mich zur Konzentration, denn eben sagte Kilmer:
» – – – dann möchte ich nur wissen, weshalb Ihr vorhin so blaß geworden seid, als Ihr durch das Fenster zum Boarding House den Wirt beim Biere sitzen saht.«
»Idiot! Es war mir nicht um Faffle zu tun, und er trank auch nicht selbst.«
»Möglich, von meinem Platz aus sah ich nur diesen.«
»Ja, aber ich stand näher als du und betrachtete mir seinen neuen Gast.«
»Und wart darüber erschrocken. Sagtet Ihr nicht, er ähnle Euch?«
»Er ähnelt mir sogar sehr. Was ich aber zudem sagte, war, daß er mir nicht geheuer ist. Daß ein Fremder hier auftaucht, kurz bevor die Expedition abgeht, gibt mir zu denken – ob man ihn geschickt hat, um ein Auge auf uns zu haben? Ein Geheimer vielleicht?«
»Das wäre etwas!«
»Kilmer, die Regierung ist weniger dumm als du. Sie weiß, daß sie sich entscheiden muß. Naturpark oder Kupfermine –
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