Hadschi Halef Omar im Wilden Westen
du hast mir heute morgen eine Geschichte zuviel erzählt.«
»Wer, ich? Aber kein Wort habe ich zuviel gesprochen, verehrter kleiner Sir. Eher will mir scheinen, als hätte ich Euch geduldigst zugehört, übrigens schon seit unserem Aufbruch in Marokko. Erinnert Euch, Ihr hattet die Freundlichkeit, mich von meiner Jacht abzuholen. Von deren Planken herunter bis hierher, in Schotter und Sand, seid stets Ihr es gewesen, der mit Geschichten nicht geizte; ich selbst sage kaum je einen Ton. Schlimmer noch als Eure Geschichten sind freilich Eure Versuche, mir die hiesige Landschaft zu beschreiben. Seht Ihr denn
nicht, daß ich selbst über ein Paar Augen verfüge und mir, wo diese nicht hinreichen, mit meinem Fernrohr helfe? Ich wette, Ihr denkt darüber nach, wie sich das Panorama vor uns in Worte kleiden läßt.«
»Muß ich das nicht?« blieb Halef fest. »Da Allah mich mit der Gabe gesegnet hat, Mensch und Tier, überhaupt ein jedes Ding durch die genaueste Beschreibung vor jedermanns Auge treten zu lassen, kann ich gar nicht anders, als jeden einzelnen – – – «
»Verehrter kleiner Sir! Darf ich Euch ersuchen, von dieser Gabe nicht länger Gebrauch zu machen? Sofern ein Mensch nicht geradezu blind ist, braucht man ihm nicht auch noch den Sand zu beschreiben. Körnchen fügt sich an Körnchen, Quarz an Quarz, das ergibt Sand. Und ein Fels ist ein Fels, und eine Düne eine Düne, und jeder Stein ein solcher, Worte hin oder her.«
»Effendi, worüber beklagst du dich? Dient dir nicht eine jede meiner Erzählungen zur Erbauung, sind sie dir nicht Mahnung und Lehre? Legt nicht eine jede meiner Geschichten immer auch Zeugnis ab von meinem unvergleichlichen Sihdi und seinen ebenso unvergleichlichen Taten? Auch er malt gern mit Worten, faßt ein jedes, groß oder klein, in Schrift und Papier. Infolge meiner Unterweisung ist er beschlagen genug, jede Landschaft so genau zu beschreiben, daß man sie selbst gar nicht zu sehen braucht, um sie doch sofort zu erkennen. Niemand, der seine Schriften liest, braucht mehr die Beschwerlichkeiten einer Reise auf sich zu nehmen. Er kann daheim bleiben, vor seinem Zelte, bei seinem Weibe und den Seinen; mein Sihdi bringt ihm alles.«
»Seht Ihr, verehrter kleiner Sir, darum geht es. Als Engländer ziehe ich es vor, mir ein eigenes Bild zu machen. Ich schätze es nicht, wenn man mir die Dinge bis in die letzte Einzelheit vorzeichnet, ich will sie selber sehen. Niemand soll an meiner Einbildungskraft rütteln, mir gar Musik oder Düfte zu erklären versuchen. Euer Sihdi, bei allem Respekt, er schweige!«
»Effendi, möge der Allmächtige dich mit Duldsamkeit segnen. Du selbst findest Freude daran, in Höhlen hinabzusteigen und im
Fackellichte die Wände abzumalen; das ist deine Sache. Mein Sihdi bevorzugt die Außenwelt. Wie kein zweiter malt und zeichnet er sie, doch sind es Buchstaben, mit denen er pinselt. Es versteht sich von selbst, wie er sagen würde, daß auch du ihn für diese Fähigkeit lieben mußt.«
» Well, fine, allright – gut, bestens, einverstanden. Wenn es Euch zufriedenstellt: Hiermit liebe ich Euren Sihdi! Was bleibt mir anderes übrig, als diesen Menschen zu umarmen, ihn zu herzen und zu küssen, wiewohl er doch ein Deutscher ist. Ihr drückt ihn mir ja doch immerzu ans Gemüt. Dennoch meine ich – – – «
»Ja, Effendi?«
» – – – dennoch meine ich, daß dieser Kara Ben Nemsi ein rechter Simpleton 4 sein muß, ein jumping jack 5 , ein clumsy fellow 6 . Wie anders erklärt Ihr Euch, daß er in allen Euren Berichten in dem einen Moment verloren zu sein scheint, aber im nächsten triumphiert, so daß am Ende der Feind geschlagen und gefesselt am Boden liegt? Daß unentwegt dem Tode geweihte Frauen oder Männer befreit, Schätze ans Tageslicht gebracht, alte Schuld aufgedeckt und überhaupt die empfindsamsten, bestgehüteten Geheimnisse offenbart werden?«
»Effendi, sprich nicht in diesem Tone von meinem Sihdi! Es trifft zu, oftmals scheint er verloren zu sein, oftmals ist der Tod ihm so nahe wie der Morgentau der Magnolie; häufig blitzt eine Klinge, oder es fliegt schon eine Kugel. Aber ist da nicht stets auch diese eine Hand, welche ihn beschützt, ihn vor dem Untergang bewahrt? Ist da nicht immer dieser eine Fuß, welcher alle Angreifer von ihm fortstößt wie Ungeziefer, auf daß sie hinabstürzen in die Tiefe, in den Schlund der Dschehenna 7 ?«
»Ganz recht, verehrter kleiner Sir. So endete noch jede Eurer
Geschichten: Ob quer durch die
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