Hämatom
Der
Werkzeugkofferträger vor mir gehörte zu den wenigen Exemplaren seiner Art,
deren Hintern eine Hose ausfüllte. Sein Gesicht war glatt rasiert und
gleichmäÃig gebräunt und seine Zähne erinnerten an einen dieser Comics, in
denen Kindern Zahnspangen schmackhaft gemacht werden sollten.
»Du musst neu sein. Dein Gesicht hätte ich nicht vergessen,
wenn wir uns schon einmal begegnet wären«, baggerte er bereits, bevor ich mich
vorgestellt hatte.
Allerdings irrte er sich. Zumindest hatte ich ihn schon
mal gesehen: auf dem Flur der Inneren, wo er Janna angemacht hatte.
»Lila Ziegler.« Ich reichte ihm die Hand. »Leitung des
Reinigungsdienstes.«
Seine gleichmäÃig geschwungenen Augenbrauen zogen sich
zusammen. Vielleicht dämmerte ihm gerade, dass ich Jannas Stelle bekommen
hatte.
»Maik Renner, Haustechnik.«
Im Vergleich zu seinem Blaumann waren seine langen Finger
unerwartet sauber. Wenn ich mich nicht irrte, hatte er sogar seine Nägel
gefeilt. Und schmutzig gemacht hatte der sich die Hände heute noch nicht. Bei
seinem ölverschmierten Outfit schien es sich um Vortäuschung falscher Tatsachen
zu handeln.
Er lieà meine Hand nicht wieder los: »Freut mich, Lila.
Ich hoffe, wir laufen uns öfter über den Weg.«
»Wird sich nicht vermeiden lassen.«
Offensichtlich war ihm voll bewusst, dass ein nicht
gerade kleiner Teil aller Frauen vor Entzücken in Ohnmacht fiel, nur weil er
sich gelegentlich wusch.
Tja, ich gehörte nicht dazu. Ich zog meine Hand weg.
Der Putzfrauenschürze zum Trotz glotzte er mir auf den
Busen.
»Wir sehen uns«, drohte er und schlenderte mit seiner
Werkzeugkiste in der Hand davon.
Svetlana sah mich gespannt an: »Na, wie findest du unsere
Eros?«
»Schwul. Der feilt sich ja die Nägel.«
Svetlanas Augen wurden groÃ. Dann brach sie in schallendes
Gelächter aus. »Na, schwul ist die sicher nicht«, schüttelte sie den Kopf, ohne
sich zu beruhigen. »Er geht mit jeder Schwesternschülerin in Bett und mit die
meisten Schwestern auch. Emine meint, er sogar hat Adolf rumgekriegt, aber ich
nicht glaube das.«
Ich biss mir auf die Lippen, um nicht auch loszuprusten.
Dass Eros Adolf rumgekriegt hatte, konnte ich mir nicht vorstellen,
wahrscheinlicher war, dass Adolf den Handwerker vernascht hatte. Vermutlich auf
ihrem Chefinnenschreibtisch, serviert auf einem silbernen Tablett.
Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf und ich sprach ihn
aus, ohne zu überlegen: »Und Janna?«
Svetlana schnappte empört nach Luft: »Natürlich nicht!
Janna hat Mann und kleine Tochter.«
Na klar, Janna war eine ganz biedere Mutti gewesen und
die fingerdicke Schminkschicht, das Nasenpiercing und das Arschgeweih waren
eindeutige Beweise dafür.
»Auf der Inneren hat sie sich jedenfalls ganz nett mit
ihm unterhalten«, bog ich die Tatsache, dass Janna Eros genervt hatte loswerden
wollen, passend zurecht.
Svetlana musterte mich misstrauisch. »Ich ihr immer gesagt
habe, sie seien zu freundlich zu dem«, meckerte sie dann. »Eros wollte sie
unbedingt in die Bett legen. Er sie hat nicht in Ruhe gelassen. Ich habe ihr
gesagt, sie muss unfreundlicher reden, er sonst kapiert nicht.«
Oha!
Das war das erste Mal, dass ich etwas über Janna erfuhr,
was zu einem Bluterguss an ihrem Handgelenk geführt haben könnte.
Bevor ich mich aber genauer mit Eros befasste, würde ich
mich um Detektivregel Nummer eins kümmern und mir die Familie ansehen .
Â
20.
Jannas Adresse hatte ich auf einer Liste gefunden, die in
Edith Möllerings unverwechselbar akkurater Handschrift aufgestellt worden war.
Janna hatte in einem mehrstöckigen Wohnhaus gelebt, neben
dessen Haustür gelber Putz auf den Gehweg blätterte.
Die Frau mit dem Pferdeschwanz, die auf der Beerdigung in
der ersten Reihe gesessen hatte, öffnete mir die Tür. Ihre Augen waren rot,
ihre Nase war rot und ihre Mundwinkel wurden von tiefen Falten nach unten
gezogen. Sie sah aus, als heulte sie schon seit ein paar Jahren.
»Guten Tag. Ich suche Herrn Degenhardt«, begann ich.
»Ist nicht da. Der kommt heute auch nicht vor zehn, versuchen
Sie es am Wochenende.« Sie wischte sich mit dem schlabberigen, grauen Ãrmel
ihres Pullis die Nase ab und wollte sich schon wieder abwenden.
»Mein Name ist Simanowski, ich komme vom Jugendamt.« Ich
rückte meine blasslila Bluse zurecht.
Bei der
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