Hämatom
gesamte Kampfsportschule bestand aus einem mit
Gummimatten ausgelegten Saal und einem neuen Tresen im Eingangsbereich. Die
Tresenfront zierte ein schlangenartiger roter Drachen. Darunter die verschnörkelte
Aufschrift Kampfsportschule Dragon, Inh. J. Degenhardt und die Angebote: Karate, Kickboxen, Aikido, Krafttraining . Die Rückwand des groÃen Raumes hatte man komplett verspiegelt und
um die Gummimatten herum standen neue Krafttrainingsgeräte wie in einem
Fitnessstudio. In einer Ecke baumelte ein Sandsack von der Decke.
Hinter dem Tresen scannte eine wasserstoffblonde Sportlerin
mit ihrem Blick routinemäÃig den Umfang meiner Oberschenkel. Der dunkelhaarige
Mann, den ich in der Kirche bereits als Jannas Ehemann identifiziert hatte,
übte mit einer Gruppe Halbwüchsiger vor der Spiegelwand Karatekicks, was mich
an die Anfänge meines eigenen jahrelangen Karatetrainings erinnerte.
Degenhardt war barfuÃ, er trug eine wadenlange, weiÃe
Hose. Sein auffälliges Drachentattoo wand sich jetzt an seiner rechten
Rumpfseite aus seiner Hose, überquerte als geflügelte Schlange das Sixpack
seiner Bauchmuskulatur und endete an seiner linken Halsseite, wo es ihm
normalerweise aus dem Kragen kroch. Und als er das Bein zum Tritt in die Luft
hob, ragte das gezackte Ende des Drachenschwanzes an seiner rechten Wade aus
seinem Hosenbein.
Vermutlich war die Aussicht auf seine Bauchmuskeln der
Grund dafür, dass vier Mädchen am Unterricht teilnahmen.
»Jan? Der Pulldown streikt schon wieder!«
Ein Bodybuilder trampelte mit dem Feingefühl eines
taubstummen Flusspferdes zwischen die Jugendlichen, die aus dem Tritt kamen und
ihre Schrittfolge abbrachen.
Degenhardts Vorname war Jan? Janna und Jan? Wirklich ein
Traumpaar.
Interessiert betrachtete ich das Flusspferd von hinten.
Ohne Zweifel gehörte das Tier zu der gehirnlosen Sorte Muskelaufpumper, die ihr
Training auf die Bereiche beschränkten, mit denen Mann Frauen beeindrucken
konnte. Tatsächlich hatte er das Kunststück fertiggebracht, sich seinen Hals
wegzutrainieren, und seine Oberarme wirkten geschwollen. Wohl weil seine Beine
meist in Hosen steckten, hatte er darauf verzichtet, sie mitzutrainieren, sodass
ihm sein beängstigender Rumpf auf den zu dünnen Beinen die Eleganz eines
übergewichtigen Storches verlieh.
Anscheinend lief der Laden ganz gut. Die Lage konnte
nicht besser sein, die Karategruppe war nicht klein und Jan Degenhardt ideal
als Zugpferd für diese Art von Geschäft. Hätte Janna hier nicht als dekoratives
Gymnastikhäschen hinter dem Tresen stehen können, statt putzen zu gehen?
Jannas Mann folgte dem Flusspferd zu dem defekten Fitnessgerät.
Die Jugendlichen lieÃen sich auf die Matten fallen.
Mit einem Handgriff hatte Degenhardt das Gerät repariert,
was mich vermuten lieÃ, dass es gar nicht kaputt, sondern nur nicht richtig
bedient worden war.
Ãchzend begann der Bullige, einen Riesenstapel Eisenplatten
zu bewegen.
Jan Degenhardt hatte mich entdeckt und kam zu mir herüber.
»Hi, ich bin Jan. Kann ich dir helfen?«
Selbstverständlich benutzte er das in Muckibuden übliche Du. Sein Lächeln war
professionell freundlich, nichts an ihm verriet, dass er vor ein paar Tagen
Witwer geworden war.
»Ich denke schon. Mein Name ist Lila, ich bin eine
Arbeitskollegin von Janna.«
Augenblicklich verschwand das kundenorientierte Lächeln
von seinem Gesicht. »Sorry, aber da will ich nicht drüber reden. War nett, dass
ihr alle zur Beerdigung gekommen seid«, blockte er ab.
Aber ich wollte drüber reden.
Und zwar speziell über die gute, alte
Tätowierter-Kerl-vermöbelt-Ehefrau-Geschichte: »Sie hatte einen Bluterguss am
rechten Handgelenk, am Tag vor ihrem Tod ist er mir aufgefallen. Wo kam der
her?«
»Einen â was? « Zwischen
seinen dunklen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte.
»Einen Bluterguss, ein Hämatom, einen ziemlich groÃen,
blauen Fleck. Als hätte sie jemand festgehalten oder an ihrem Arm gerissen.«
»So ein Schwachsinn! AuÃerdem ist sie tot, wen interessiert
da noch ein blauer Fleck?« Abweisend verschränkte er die Arme vor dem nackten
Oberkörper.
Vielleicht hätte ich nach dem Tod meiner Frau auch am
liebsten den ganzen Tag auf einen Sandsack eingeschlagen und nicht darüber
gesprochen?
»Wie lief es in der letzten Zeit zwischen euch?«, blieb
ich hartnäckig. »Hattet ihr
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