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Hämatom

Hämatom

Titel: Hämatom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucie Flebbe
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Kaffeetrinken bei Oma versammelt.
    Â»Liebe Kolleginnen und Kollegen«, begann Adolf. »Nach den
letzten Zeugnissen zu urteilen, scheinen die Abläufe des Verfahrens nicht klar
zu sein. Außerdem hat es einige personelle Veränderungen gegeben, sodass die
Leitung des Klinikmanagements« – also sie selbst – »es für angebracht hält,
sämtliche Beurteiler noch einmal zu schulen. Auf Seite eins der Richtlinien
werden Sie über die Zielsetzung der Mitarbeiterzeugnisse informiert.«
    Gehorsam begannen die Versammelten, mit den Unterlagen zu
rascheln.
    Â»Die Zeugnisse sollen die Motivation der Mitarbeiter fördern,
Kundenorientiertheit, Teamfähigkeit und Sozialkompetenzen verbessern und den
Mitarbeiter in seiner persönlichen und beruflichen Entwicklung unterstützen.«
    Ich bezweifelte sehr, dass das stasimäßige Beobachten bis
hin zur Dokumentation von Raucher- und Pinkelpausen den Mitarbeiter in seiner
persönlichen Weiterentwicklung unterstützen würde. Wenn das funktionierte, wäre
das schon im real existierenden Sozialismus bemerkt worden, aber der Mauerfall
widerlegte diese Theorie.
    Jedenfalls begriff ich die Grundregeln des Managements:
Adolf bestellte die Abteilungsleiter zum Meeting und sagte ihnen, was sie
wollte. Dann gingen die Abteilungsleiter zu den Mitarbeitern und sagten ihnen,
was Adolf wollte. So erfuhr bis zur analphabetischen Putzfrau jeder in der
Klinik, was Adolf wollte.
    Ob es auch einen umgekehrten Weg gab? Erfuhr irgendjemand,
was die analphabetische Putzfrau sich wünschte?
    Zum Abschluss der Veranstaltung legte Adolf ganz unerwartet
ein Lächeln auf: »Ich hoffe, ihr denkt alle dran, dass Karl-Heinz heute ab
neunzehn Uhr in der Kapelle seinen Ausstand gibt. Morgen erreicht er offiziell
die Ruhephase der Altersteilzeit. Ein schöner Anlass für eine kleine After-Work-Party.
Für Essen und Getränke ist gesorgt und ich denke, es sollte uns allen wichtig
sein, noch einmal mit Karl-Heinz auf die gute Zusammenarbeit anzustoßen.«
    Geschickt rübergebracht.
    Ich stellte mir vor, wie Adolf mit einer Strichliste in
der Tasche erschien, um festzuhalten, welchen Mitarbeitern die Verabschiedung
von Herold wichtiger war als ein Abend mit der Familie.
    Adolf nickte Herold zu und der Dicke tupfte sich vor
Schreck den Schweiß von der Stirn.

    Â 
    Die Klinikkapelle, in der Herolds Abschiedsfeier
stattfand, befand sich im Erdgeschoss des Gebäudes. Der Boden des kahlen Raumes
war mit beigefarbenem Teppich ausgelegt, die Wände hatte man in einem Farbton
gestrichen, dessen Name schöner klang, als er war, so was wie ›Elfenbein‹ oder ›Sand‹.
Bilder gab es keine, nur ein übergroßes Holzkreuz, das über dem Buffet
schwebte, und eine bis unter die Decke reichende Weihnachtstanne.
    Adolf gefiel nicht, dass der Raum außerhalb der Sprechzeiten
der zuständigen Pastorin nicht genutzt wurde, erzählte mir Ramona. Deshalb
richtete die Managerin gern Feierlichkeiten aller Art darin aus.
    Als ich mit Ramona zusammen eintrat, war die Kapelle
bereits gut gefüllt. Mitarbeiter standen mit Sektgläsern in den Händen in
kleine Gruppen verteilt, die Stimmen vermischten sich mit dudelnder
Weihnachtsmusik, die ein scheintoter Alleinunterhalter an einem Keyboard
produzierte. Der Mann ging auf die achtzig zu und spielte in einer
Geschwindigkeit Walzer, in der eine Schnecke eine Landstraße überquerte.
    Es gab Sekt, ein kalt-warmes Buffet und ein riesengroßes
Holzbierfass direkt unter dem mahnenden Kreuz an der Wand.
    Ich fragte mich, ob Herold diese Sause bezahlen musste.
Der Abend kostete sicher mehrere hundert Euro, die jeder Mensch mit einem
Gehirn lieber in eine Weltreise in der anstehenden Ruhephase der Altersteilzeit
investiert hätte.
    Ramona nahm zwei Sektgläser vom Tisch, drückte mir eins
in die Hand und gesellte sich zu Herold, der schwer atmend neben Adolf stand.
Der Dicke war sichtlich erleichtert, als Ramona ihm die Gelegenheit gab, aus
Adolfs Reichweite zu fliehen.
    Â»Alles Gute«, wünschte auch ich dem Exhauswirtschaftsleiter
artig. Damit war das Gespräch schon zu Ende. Herold blieb trotzdem neben Ramona
und mir stehen, in sicherer Entfernung zu Adolf.
    Ich betrachtete einen Augenblick lang das allgemeine
Küsschengeben um mich herum. Aus meiner Abteilung war niemand aufgetaucht. Ich
glaubte aber nicht, dass außer mir jemandem auffiel, dass keine

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