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Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)

Titel: Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Sträter
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Mann erhob sich.
    Es wurde Zeit, zusammenzupacken.
    Er legte noch mal seine Hand auf den Rand des Brunnens und spürte die Kälte.
    Das Relikt hätte nicht eisiger sein können, wenn es im Wel t raum gekreist hätte, statt in der Abteilung für Hobbygärtner eines Dortmunder Baumarkts in mildem Schatten zu stehen.
    Er blickte auf seine Armbanduhr.
    »Sie haben ihn gefunden«, hörte er die müde Stimme des Ve r käufers hinter sich.
    Er drehte sich um, und sah in dessen Gesicht, dass der Keim seiner Berührung Früchte getragen hatte. Die ganze Körperha l tung des Mannes war schlaff und N icht s sagend, seine Augen schimmerten feucht. Er wirkte todtraurig.
    Der Verkäufer, der ein Rollbrett wie einen Hund an der Leine hinter sich hergezogen hatte, sah nicht nur einfach müde aus; er wirkte tot . O ffenbar hatte ihn noch niemand darüber aufg e klärt, aber das konnte man nachholen.
     
    »Sagen Sie«, flüsterte der Mann in schwarz, wobei er Röcken seine eisige Hand in den Nacken legte, »haben Sie jemals über Selbstmord nachgedacht?«
    Röcken fühlte eine schwarze Welle der Hoffnungslosigkeit über seinem Kopf zusammenschlagen. Eine einzelne Träne rann über seine aschgraue Wange.
    »Nein«, sagte er.
    Dann legte sich die andere Hand des Mannes auf seine Wange und wischte mit dem Daumen die salzige Feuchtigkeit fort. Sie sahen sich an. Diese Augen waren tief und kühl, und ein lust i ges, unbeschwertes Feuer schien in ihnen zu brennen, meinte Röcken zu erkennen.
    Die Brauen des Talentierten hoben sich.
    »Nicht? Und? Wäre das nicht was für Sie?«
    Der Mann zwinkerte Röcken zu und lächelte warm, aber sein Blick schielte zur Uhr.
     
    Das Zifferblatt der Seamaster zeigte Dreizehn Uhr Zweiun d vierzig.

10
    Herr Benning hatte begonnen, sich mental auf das Ende der Welt, wie wir sie kennen, einzustellen. Das Jackett saß gut, aber die Hose war etwas zu lang. Sein Änderungsschneider würde das erledigen.
    Er hatte doch noch seine Familie angerufen, war aber nicht in sentimentales Gesülze abgedriftet.
    »Ich komme heute später, Liebling«, hatte er seiner Frau gesagt. Im Hintergrund war ein elektrischer Mixer zu hören, als sie antwortete.
    »Wann wird das denn sein? Um Sieben ist das Essen fertig, und Blätterteig sackt immer so schnell zusammen.«
    Gute Frage, hatte er gedacht.
    »Es wird spät. Warte nicht auf mich. Küss die Kinder von mir.«
    Dieser Wunsch war ungewöhnlich, wenn man Benning kannte, aber seine Frau schien sich eher auf das Zubereiten von Tei g spezialitäten als auf das Heraushören von Zwischentönen zu verstehen.
    Er legte den Hörer auf, drückte dann die Kurzwahltaste der Änderungsschneiderei und gab einige Anweisungen.
    Alles lief nach Plan.
     
    Das Relikt stand auf der Ladefläche des Transporters, festg e zurrt wie eine Neutronenbombe.
    Der Mann hatte den schwarzen Mantel auf den Beifahrersitz gelegt, und dünne Rinnsale von Schweiß liefen ihm durchs Gesicht. Seine Handflächen waren eiskalt, seine Oberarmmu s keln zitterten. Dies war der anstrengen d ste Teil gewesen; das Gefäß allein in den Wagen zu wuchten, war riskant und hart gewesen, aber niemand außer ihm durfte zur Stunde das Relikt berühren. Er warf den Behindertenausweis zurück ins Han d schuhfach, startete den Wagen und drückte auf den On-Knopf des C D -Players.
    Ein violinenschwangeres Werk von Antonio Vivaldi erklang.
    Der Mann stellte es lauter; trotzdem übertönte die anschwe l lende Musik nicht die Sirene des Krankenwagens, der vor dem Baumarkt bremste und wie in einem Krimi aus den Siebzigern zwei hektisch agierende Männer ausspuckte.
    Er fuhr langsam davon, die Sonne im Rücken, und lauschte der Musik.
    Das Orchester gab sich alle Mühe – so wie er.
    Alles lief nach Plan.
     
    Richthoven sah sich um.
    Die Beleuchtung des Goldsaals war bis in die Nähe absoluter Finsternis herunter gedimmt, das Parkett feucht glänzend, alle unwichtigen Türen fest verschlossen.
    Vor einer halben Stunde hatten zwei junge Männer das Podest herein getragen, welches nun auf der Bühne stand und soeben mit einem Staubfeudel abgepinselt wurde.
    Die Wände waren mit Hunderten von Metern Samt abgehängt, was der Halle das Aussehen eines großen, aber intimen Salons verlieh.
    Er hatte nun keine Angst mehr davor , dass vierzig verwinkelte Meter weiter eine Hallentür war, die in wenigen Stunden geöf f net werden würde , um einige Tausend Jugendliche einzulassen. Er fürchtete nicht mehr den Umstand, das Aufnahmeritual der

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