Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Leute liebten das.
Die schwarze, blickdichte Samtwand vor der Bühne, die durch das ganze farbige Licht wirkte, als würde sie in Flammen st e hen, hob sich.
Allerdings gab es den Blick weder auf Girls in Hotpants, noch auf den zu den Beats gehörenden glatzköpfigen Künstler frei.
Alles, was man sah, war ein wuchtiger Gartenspringbrunnen, der im Takt der Bässe ständig die Farbe wechselte.
Das Publikum hielt den Brunnen eine gewisse Zeit für einen Gag.
Dieser Eindruck verflüchtigte sich, als die erste Gruppe von Tänzerinnen zur neuen Nummer Eins, der Clubversion von » Send me an Angel « auf die Bühne sprangen.
Sie trugen weiße Plüsch-Hotpants, Lackstiefel und flauschige, weiße Engelsflügel.
Letztere waren der Grund, warum die Mädchen sofort nach Betreten der Bühne in Flammen aufgingen.
Selbst in den letzten Reihen war das zornige WUSCHHH zu hören, mit dem die Tänzerinnen sich in schreiendes, brenne n des Fleisch verwandelten. Absurderweise führten einige der orangefarbenen Feuerbälle, von denen milchiges Fett auf den Boden tropfte, noch einige Tanzschritte aus, bevor sie zusa m menbrachen.
Ein geringer und bekiffter Teil der anwesenden Besucher hielt das für eine ziemlich gute Performance, aber die meisten b e gannen zu schreien. Die Geräuschkulisse unterschied sich dabei nicht großartig von der für Konzerte üblichen, aber der G e ruch, der durch die Halle zog, gab der Veranstaltung eine b e sondere Note bevorstehender Panik.
Sämtliche Bühnenspots brannten durch.
Die Musik begann zu leiern, verzerrte sich und verstummte dann.
Der Brunnen erbebte, wurde rissig und begann, sich zu verfä r ben. Er nahm den Ton verdorbenen Fleisches an, ein widerl i ches graubraun, und ein leises Summen war zu hören.
Die Teenager der ersten Reihen pressten ihre Körper i m Ve r such, aus der Halle zu kommen, nach hinten, wo sie auf and e res, flüchtendes Fleisch trafen. Die massive Dynamik der fli e henden Menschen hob sich gegenseitig auf, und viele stürzten.
Die Zerstörung der Halle, und mit ihr die Verflüchtigung der Essenz des Vaters wäre nur Formsache gewesen, wenn nicht zufällig die erforderlichen Gegebenheiten gestimmt hätten:
Auf den oberen Rängen saß ein Junge, der gebrannte Vide o spiele für zehn Euro das Stück an seine Freunde verkaufte, obwohl ihn die Herstellung nur wenige Cents kostete; der a b gebrochene Student der Theologie, der trotz akademische n Abschluss es auf Chemie umgesattelt hatte, um tiefere Einsicht in die Herstellung gewisser synthetischer Genussmittel zu e r langen, wankte beduselt und unbeteiligt in der Hallenmitte.
Der ganz besondere Mann – ein unmoralisches, aber cleveres Subjekt, wie es gefordert wurde – hatte sich überhaupt keine Eintrittskarte gekauft: er hatte sie seiner Schwester gestohlen, dann aber verkauft, um sich durch den Backstagebereich Z u gang zu verschaffen. Er hatte sich einen Pass am Computer gebastelt , ein sehr geglücktes Exemplar. Der Junge war Fün f zehn, schwänzte zugunsten gewaltverherrlichender Playstat i onspiele den Kommunionsunterricht und trug stets schwarz.
Die unheilige Dreifaltigkeit war anwesend.
Der Vater erschien.
2 3
»Wer hat das zu verantworten?«, brüllte der Bürgermeister. Er war aschfahl, was einen interessanten Kontrast zu seinem Smoking ergab.
»Das Talent« rieb sich die schmerzenden Schläfen. Was auch immer geschah: D as hier würde er nicht zugeben. Niemals.
Er hatte sich ein wenig mit der Halle vertan, was zur Folge hatte, dass der Brunnen jetzt als sinnlose Dekoration an einer hirnverbrannten Rambazamba-Veranstaltung teilnahm, aber da demzufolge auch der Vater nicht erschien, würde es keinen blinkenden Pfeil geben, der auf ihn wies.
Sein Schädel fühlte sich an, als hätte man eine Bohrmaschine an seinen Hinterkopf gesetzt.
Dann startete sein für derartige Fälle schlummerndes Notpr o gramm in seinem Hirn.
Der Mann in schwarz betrat die Bühne.
»Kein Grund zur Beunruhigung«, lächelte er, »eine minimale Verzögerung. Lassen sie mich ihnen den Sachverhalt kurz e r läutern. Dann werden sie verstehen.« Er wirkte sehr gewi n nend.
Aha, dachte Benedikt, während er den unheimlichen Lächler der ersten Reihe durch den Kreis seiner Zielerfassung fixierte. Wie auf dem Präsentierteller! Genau so mag ich es.
Trotz aller christlichen Tendenzen in ihm verblasste die Gravur » Du sollst nicht töten « in seinem Kopf, um der Direktive » Mach deinen Job ordentlich « Platz
Weitere Kostenlose Bücher