Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
zu schaffen.
Er legte den Finger an den Abzug und suchte den Druckpunkt.
Der Bürgermeister hatte sich in Anwesenheit des schwarzen Mannes etwas entspannt. Er hörte konzentriert zu, ließ aber durch seine Haltung keinen Zweifel aufkommen, wer Herr der Bühne war.
»Das Relikt befindet sich aus Sicherheitsgründen in einer and e ren Halle. Es wird gleich geholt werden«, führte der Talentierte aus, »und dann beginnt alles planmäßig.«
Der Mann hatte den Satz nicht vollendet, als der Pferd e schwanz und sein Waffenbruder schon den Gang entlang het z ten.
»Welche Halle?«
»Hat er nicht gesagt«, kam es von Pferdeschwanz.
Die Frage beantwortete sich; nach wenigen Metern schlug i h nen der durchdringende Geruch von Rauch entgegen. Dann kam der Rauch selbst.
Durch eine aufgestoßene Stahltür trugen die tiefschwarzen Schwaden den Geruch von Tod, Grillgut und Schwefel zu i h nen. Sie rannten darauf zu, ohne zu zögern.
Dann hörten sie die Schritte.
Es klang, als würden große, raue und nackte Füße auf den B e ton des Ganges vor ihnen aufsetzen.
Das Tempo war gemächlich, aber das Geräusch massiv. Wer oder was immer dort kam, war sehr groß.
Und sehr schwer.
»Zurück«, flüsterte Pferdeschwanz. »Jetzt. Sofort.«
Benni n g, der sich im Taxi zur Halle lang gestreckt hatte, um die Hosen des Anzugs nicht zu zerknittern, fühlte sich unwohl. Er wusste, dass er hierbei eine entscheidende Rolle spielte, aber da s s er nicht wusste , welche, machte ihn nervös. Er stand so nah an der Tür, dass er wahrgenommen hatte, wie sie geöffnet wurde.
Das war gewesen, als der Mann, der ihn heute morgen aufg e sucht hatte, zu sprechen begonnen hatte.
Er hatte nicht gewagt, sich umzudrehen; als er dann hörte, wie sich eilige Schritte entfernten, war es zu spät.
Das allein war beunruhigend genug.
Der Geruch, der nun unter den vertäfelten Türen ins Innere des Goldsaals drang, war bedeutend mehr als das.
Es war der Gestank eines schweren Brands.
Eines Brands, der in vollem Gange war, und neben den übl i chen, beißenden Dämpfen verschmorten Plastiks und glühe n den Stahls noch etwas anderes in sich trug.
Etwas, das wie brennendes Fleisch roch.
Die Flügeltür flog auf.
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»Er kommt«, schrie Pferdeschwanz.
Er hatte einen kurzen Blick auf den Fuß der Kreatur erhascht, die durch den Rauch ging, und das hatte die religiöse Festung seiner Seele in etwas verwandelt, das Ähnlichkeit mit Wacke l pudding hatte.
Der Fuß war riesig gewesen. Eine menschliche Schuhgröße war diesem Körperteil ebenso wenig zuzuordnen wie ein Rüc k schluss auf den Rest dieses Körpers.
Er war nässend und von krebsroter Farbe gewesen , de m Hau t ton eines Neugeborenen, und hatte lange, schorfige Nägel an den Enden hammerförmiger Zehen besessen .
Sie waren gerannt wie Kinder.
Benedikt sah das gottlose Entsetzen in den Gesichtern seiner Kameraden.
Zu spät, dachte er.
Dann drückte er den Zeigefinger durch.
Das gewinnende Lächeln des talentierten Mannes verschwand.
An seine Stelle trat ein blutig-fleischiges Puzzle ohne jeden menschlichen Ausdruck.
Pulverisierte Fragmente von Zähnen stoben in alle Richtungen, während ein feiner, roter Nebel hinter dem Kopf des Mannes auftauchte. Dieser stand noch immer in formeller Rednerpose da.
Er war der zweite Mann an diesem Tag, der den Umstand se i nes eigenen Todes ignorierte, solange es ging.
Dem B lut spritzenden Krater seines Gesichts entwich ein pfe i fender Laut der Überraschung.
Dann knickten seine Beine weg.
Der Bürgermeister stand wie festgeschraubt da; mit den winz i gen, roten Sprenkeln in seinem Gesicht hatte sich ein neuer Kontrast gebildet.
»Was soll das denn?«, schrie er sinnentleert, wobei er an seiner Fliege herum fummelte.
Dann füllte Rauch den Goldsaal.
Zweihundert überwiegend licht behaarte Köpfe drehten sich zur Tür um, als sie das Stampfen vernahmen, das mit dem Qualm gekommen war.
Der Vater musste sich bücken, um in den Saal zu gelangen.
Er war vier Meter groß, mindestens, und vollkommen nackt. Der Vater verströmte einen starken Gestank nach verdorb e nem Fleisch, den er durch die nebelige Luft vor sich hertrieb.
Seine Haut glänzte ölig über den unförmigen Muskelpaketen seines Oberkörpers, als er sich im Saal aufrichtete.
Der Vater war nicht Mephistopheles. Der Vater erinnerte w e der an Brandauer, noch an Al Pacino.
Der Vater war ein Tier.
Oben auf der Balustrade bekreuzigte sich Benedikt;
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