Hämoglobin (Jacks Gutenachtgeschichten) (German Edition)
Anzügen erschienen. Sie würden im Zwielicht der Halle zu einer Masse verschmelzen.
Er warf kühle Blicke zu den anderen, die steif vor den verri e gelten Türen standen, und sagte lautlos » due « , zwei.
Wo war der Dritte?
Pferdeschwanz schüttelte ka u m merkbar den Kopf.
Im Saal war bereits der größte Teil der Gäste. Langsam wurde es überschaubar.
Er ließ den Blick scheinbar absichtslos über die letzten Gäste schweifen, die noch eingelassen werden mussten.
Sein Blick traf ein graues Augenpaar, das ihn fixierte.
Sein Mann stand ganz am Ende der Schlange.
Die L etzten werden die Ersten sein, dachte Benedikt. Wie lange sieht er mich schon an?
Eine Minute später stand er vor ihm.
»Hier«, sagte der Mann der ersten Reihe unnötigerweise und streckte seine Karte vor.
Ein Ziegenschädel war darauf zu sehen, wie bei den anderen beiden in der Ecke links unten.
Benedikt senkte den Blick.
Er konnte den anderen buchstäblich lächeln hören.
Dann schloss er die Tür hinter sich.
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Zwanzig Uhr neunundzwanzig.
Der Bürgermeister stand auf der Bühne des Goldsaals, den schweren Vorhang im Rücken.
Er strahlte die übliche, bürokratische Verbindlichkeit aus, o b wohl er nicht lächelte. Er sah in die Gruppe, und entdeckte einige bekannte Gesichter; erstaunlicherweise hatte er sich mit dieser Veranstaltung zum Freund eines seiner ärgsten polit i schen Widersacher gemacht, der ebenfalls in den Reihen der Bruderschaft stand.
»Brüder«, begann er zu sprechen, »ich danke für das vollzählige Erscheinen.«
Er zog ein Gesicht, als würde er Applaus erwarten, besann sich aber binnen Millisekunden. Diesmal war er nicht auf einer pol i tischen Kundgebung.
»In dieser Halle«, er machte eine ausladende Handbewegung, »ist im Jahre Neunzehnhundertzweiundsechzig der DFB g e gründet worden . V iele Menschen tanzten, diskutierten und speisten hier. Wichtige Kongresse fanden statt, gekrönte Häu p ter gastierten hier. Diese Bilder werden ab heute für immer verblassen: W enn der Vater erscheint, um uns sein Wissen zu geben, seine Macht, wird es der Saal des Vaters sein.«
Er hob seine linke Hand und machte das Zeichen der Brude r schaft.
»Sind die Pole anwesend?«
Drei schwarze Jackettärmel ragten aus der Menge hervor.
Klasse, dachte Benedikt, der sich vor Ausgang Eins aufgebaut hatte, das hätte ich mir alles sparen können.
Ihm ging’s nicht besonders; der Mann der ersten Reihe hat te ihn kurz berührt, als er seine Karte abgab, und nun fühlte B e nedikt sich merkwürdig … traurig. Das hielt ihn nicht davon ab, zur Treppe zu gehen , seiner Bestimmung und dem PSG-1 entgegen. Er tat es sehr langsam.
»Scientia est potentia«, sagte der Bürgermeister feierlich, »Wi s sen ist Macht. Gleich werden wir nicht länger nur ahnen und vermuten. Verehrte Brüder: D er Vater!«
Er trat einen Schritt vor drückte einen Knopf am Podium. Dann ertönte ein leises Summen, und der Vorhang teilte sich.
Die Augen aller Parteien starrten auf die kleine Bühne: beim Bürgermeister hatte man den Eindruck, er versuche, durch sein stieläugiges Glotzen eine Erscheinung zu manifestieren.
Benedikt sah von oben durch das Zeiss-Objektiv des Schar f schützengewehrs, konnte aber nur eine konturenlose Schwärze ausmachen. Er schwenkte langsam den Lauf, aber es blieb das gleiche Bild.
»Das Talent« hatte sich gut im Griff : E r blickte auf die Bühne, schloss dann kurz die Augen und öffnete sie wieder. Der A n blick war derselbe. Also schloss er sie noch mal. Als er sie dann aufmachte, nahm er die kollektiv wahrgenommene Situation an:
E gal, ob man es durch die Gleitsichtgläser des Bürgermeisters, ein vierfach vergrößerndes Suchfernrohr oder mit den eigenen, scharfen Blick betrachtete : D ie Bühne war leer.
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In der G roßen Halle flammten Hunderte Scheinwerfer auf, als der dröhnende Aufheizerbeat von den beginnenden Klängen des ersten Titels abgelöst wurde. Es war die Nummer eins der Charts, und vom Stehplatz vor der Bühne bis zum hintersten und obersten Rang, wo die sprichwörtlich billigen Plätze waren, geriet alles aus dem Häuschen. Die Lautstärke war enorm, und die Tatsache, dass das gesamte Konzert ohne Playback durc h gezogen wurde, tat dem keinen Abbruch. Im Gegenteil , die Künstler waren dann freier und gelöster, Patzer gab es nicht.
Der Mangel an authentisch agierenden Musikern wurde in der Regel durch größere Gruppen leicht bekleideter Tänzerinnen aufgefüllt, und die
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