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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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ich dir persönlich den Arsch auf. Gips hin oder her!«
     
    Das Pflaster an Saskias Stirn war verschwunden, genauso wie der Glanz und das Strahlen ihrer Augen. Ihr Blick war matt, stumpf und leer, die dunklen Seen ihrer Pupillen, von denen Sebastian so fasziniert gewesen war, wirkten trüb. Der Arzt hatte ihn davor gewarnt. Zwar wurde die Dosierung
der Beruhigungsmittel seit drei Tagen sukzessive heruntergefahren, doch war immer noch genug von dem Medikament in ihrem Blutkreislauf, um sie verändert wirken zu lassen. Fahrig, abwesend, ohne Energie. Der Arzt hatte Sebastian versprochen, dass sie in wenigen Tagen wieder die Alte sein würde. Eine blöde Phrase, typisch Arzt! Sie würde nie wieder die Alte sein, und Sebastian konnte nur hoffen, dass sie die Kraft hatte, trotzdem weiterzumachen und diese furchtbare Geschichte irgendwie zu verarbeiten. Physisch gesehen ging es ihr gut. Die Wunde am Finger war ordentlich verheilt, ebenso wie die Wunde an der Stirn. Um den Brustkorb trug sie einen elastischen Verband, der ihre Rippen vor zu hoher Belastung schützte.
    Während der Fahrt vom Krankenhaus zum Hof hielt Saskia ihre verstümmelte Hand am Handgelenk fest, als hätte sie Angst, sie könne verloren gehen. Sie war schweigsam, sprach nur ein paar Sätze, blickte die meiste Zeit zum Seitenfenster hinaus. Schnell war innerhalb des Wagens eine bedrückende, wortlose Enge entstanden, denn schon an der Stadtgrenze wusste auch Sebastian nicht mehr, was er sagen sollte.
    Draußen zog eine wunderschöne, in sanftes Sonnenlicht getauchte Landschaft vorbei, doch die Wärme und die Farbenpracht der Blüten drangen nicht bis ins Wageninnere vor. Sebastian war froh, als sie endlich auf den Hof rollten. Er ließ den zivilen Polizeiwagen vorbei, parkte den Rover seiner Eltern in dem Schuppen und stellte den Motor ab.
    Kurz herrschte eine beängstigende Stille.
    »Und du willst das wirklich?«, fragte Sebastian.
    Saskia antwortete nicht sofort. Als sie ihn schließlich anblickte, sah er, dass sie geweint hatte.
    »Saskia, ich …«

    »Nein«, sie schüttelte den Kopf, »ist schon gut … lass mich nur kurz zu mir kommen.«
    Sie schniefte und wischte sich mit der unverletzten Hand die Augen trocken.
    »Ich habe mich wirklich unsagbar darauf gefreut, dich heute abzuholen. Ich habe dich vermisst, mehr als ich es mir hätte vorstellen können, aber wenn du doch lieber …«
    Saskia unterbrach ihn, indem sie sich zu ihm rüberbeugte und ihn sanft auf den Mundwinkel küsste. Ihre Lippen waren kalt.
    »Ich liebe dich«, sagte Saskia leise. »Lass mir einfach ein bisschen Zeit. Es ist so viel passiert … ich fühle mich noch immer wie betäubt. Es reicht schon, wenn ich weiß, dass du für mich da bist.«
    Sebastian streichelte ihre Wange, die sich ebenfalls kalt anfühlte. »Jederzeit.«
    Sie stiegen aus dem Wagen. Sebastian ging um das Heck, um Saskia die Tür aufzuhalten, doch sie kam ihm zuvor. Also nahm er die große Sporttasche vom Rücksitz, in der sich ihre Kleidung und ein paar persönliche Gegenstände aus ihrer Wohnung befanden. Sebastian hatte die Dinge nach ihren Wünschen für sie geholt, denn Saskia wollte ihre Wohnung noch nicht betreten.
    Einer der beiden Personenschützer stand am westlichen Rand des Hofes und suchte mit einem kleinen Fernglas die Koppeln und den Waldrand ab. Der andere war ins Haus verschwunden, um es zu überprüfen. Es war jedes Mal die gleiche Prozedur, wenn sie nach einer Abwesenheit auf den Hof zurückkehrten. Obwohl die Beamten sich seit fast einer Woche hier oben langweilten, nahmen sie ihren Job immer noch ernst.

    Sebastian trug die Tasche ins untere Gästezimmer. Er hatte es in den vergangenen Tagen zu seinem und Saskias Schlafzimmer umfunktioniert. Dazu hatte er die beiden altmodischen Betten zusammengeschoben, sodass eine Art Doppelbett entstanden war. Ansonsten war alles vorhanden. Großer Kleiderschrank, zwei Nachtschränke, ein großer Spiegel mit einem Schminktisch davor sowie zwei metallene Kleiderständer. Der Raum wirkte altmodisch und spießig, aber er war im Moment die einzige Alternative. Sebastians eigenes Schlafzimmer war unbewohnbar und würde es wohl auch für immer bleiben, und in dem seiner Eltern wollte er auf Dauer nicht schlafen, schon gar nicht zusammen mit Saskia.
    Er stellte die Tasche aufs Bett und machte eine ausladende Handbewegung.
    »Für eine Innenarchitektin natürlich eine Zumutung, aber ich hoffe, fürs Erste wird es gehen«, sagte er.
    »Ganz bestimmt.

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