Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein
Wichtig ist nur, dass ich nicht allein schlafen muss.«
Sebastian ging zu ihr und nahm ihre unverletzte Hand. »Kommst du mit raus? Du könntest Falco begrüßen. Ich glaube, er hat dich auch vermisst.«
Saskia sah ihn an, doch in ihrem Blick war kein Interesse. Keine Trauer, keine Wut, kein Schmerz, nur ein großes Nichts. Es war ein erschreckender Blick, und Sebastian hoffte inständig, er möge wirklich nur von den Tabletten herrühren. Er sah, dass sie den Kopf schütteln wollte.
»Bitte!«, sagte er schnell. »Ich helfe dir dann später beim Einräumen, okay?«
Sie zögerte kurz und sagte dann: »Also gut.«
Sie verließen das Haus. Nah beieinander schlenderten sie zwischen den Koppelzäunen hindurch auf die hintere
Wiese zu. Es roch nach frischem Gras und den Pferden, ein leichter Wind brachte den brackigen Geruch des Sees mit herüber. Die Sonne wurde durch leichte Federwolken abgemildert. Sie erreichten den höchsten Punkt des Hügels und blieben stehen. Schweigend betrachteten sie die Pferde. Alle achtzehn Tiere standen am anderen Ende der Koppel und grasten mit gesenkten Köpfen. Einzig Falco zeigte Interesse. Er hob den Kopf, sah sie, schnaubte einmal und kam in gemächlichem Tempo herüber.
»Siehst du, er hat dich wiedererkannt«, sagte Sebastian.
Tatsächlich schien ein kleines Lächeln über Saskias Gesicht zu huschen.
Als Falco nah genug heran war, streckte Saskia ihre offene Hand zwischen den Zaunlatten hindurch. Falco senkte den großen Kopf und rieb seine Nüstern in ihrer Handfläche. Seine Ohren zitterten dabei, sein Schweif schlug hin und her, um die lästigen Fliegen zu verscheuchen.
»Seine Nase ist so unglaublich weich«, sagte Saskia.
»Und auch sehr empfindlich. Da lässt er nicht jeden ran.«
Falco verlor das Interesse, schnaubte noch einmal und machte sich dann auf den Rückweg zu seiner Herde.
»Er weiß, wo er hingehört«, sagte Saskia, während sie ihm nachschaute.
Ihre Worte trafen Sebastian tief. Dass es schwer werden würde, hatte er geahnt, auch, dass es sehr lange dauern könnte, aber nicht für eine Sekunde hatte er daran gezweifelt, dass es funktionieren würde. Ihre Worte jetzt und der Tonfall, mit dem sie sie ausgesprochen hatte, ließen ihn plötzlich doch zweifeln. Er drehte sich zu Saskia um, legte ihre die Hände auf die Schultern und zog sie ein Stück heran. Dann ließ er die Hände zur Taille gleiten und schloss
sie hinter ihrem Rücken. Schloss sie in einen Kreis ein, der nur für sie beide da war.
»Natürlich weiß er es, er hat ja nie etwas anderes kennengelernt. Auch du wirst irgendwann wieder wissen, wohin du gehörst, ganz bestimmt. Und egal, wie du dich entscheidest, ich werde an deiner Seite sein … wenn du es willst.«
Sie sah zu ihm auf. Ihre Augen waren groß und fragend. »Du würdest den Hof aufgeben, wenn ich hier nicht bleiben will? Für mich?«
Sebastian nickte. »Ich würde alles für dich tun.«
Gleichzeitig hoffte er aber, dieses Versprechen nie einlösen zu müssen.
Montag
Tarek Özgün stand vor der offenen hinteren Ladeklappe seines Lieferwagens und wollte seinen Augen nicht trauen. Das konnte doch nicht wahr sein! Dann drehte er sich ruckartig um und starrte zum Waldrand. Der Parkplatz wurde von drei hohen Bogenlampen ausreichend erhellt, doch dieses Licht endete an den Büschen und Bäumen. Was sich dahinter befand, lag im Dunkel des frühen Tages. Tarek kniff trotzdem die Augen zusammen und suchte den Waldrand ab. Dabei ging er langsam über den Platz darauf zu. Wohl war ihm nicht zumute, denn eines war klar: Zum dritten Mal innerhalb einer Woche hatte er sich nicht geirrt, und seine Kollegen spielten ihm ganz sicher auch keinen Streich. Wo also sollten die drei großen Roggenbrote und die vier Lagen Butterkuchen hin sein, wenn nicht irgendein Arsch morgens in der Dunkelheit im Wald hockte, wartete, bis die Wagen beladen wurden, und sich dann frech daran bediente. Und immer Roggenbrote, nur die großen, dazu Butterkuchen, der erst vor einer halben Stunde frisch aus dem Ofen gekommen war. Das Fieseste war aber, dass dieser Arsch sich nur an seinem Wagen bediente!
»Hey!«, rief Tarek über den Platz. »Ich hab dich gesehen, komm raus da oder ich polier dir die Fresse.«
Keine Reaktion. Kein Rascheln im Unterholz, kein Knacken von Zweigen. Absolute Stille. Nicht einmal die sonst üblichen Vögel waren zu hören. Tarek hatte eigentlich bis
ganz an den Waldrand gehen wollen, vielleicht sogar ein Stück weit hinein, um zu
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