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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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war, damit jedoch nicht. Derart verändert war er auf den Hof zurückgekehrt, dass Anna es sofort bemerkt und befürchtet hatte, seine Unfallgegnerin sei doch noch verstorben.
Diese Angst hatte Sebastian ihr nehmen können, die Neugier seiner Mutter aber nicht stillen wollen. Man konnte nicht in Worte fassen, was der Verstand noch nicht durchgekaut und als verstanden abgelegt hatte. Und dann wollte man es manchmal erst recht nicht.
    Während Sebastian mit offenen Augen träumend auf dem Bett lag und das Kärtchen wie einen Schatz festhielt, begann draußen vor dem Haus der Hund zu bellen. Saskias Gesicht verschwand. Er ließ die Hände sinken und horchte. Sie hatten Taifun vor vier Jahren angeschafft, damit er den Hof bewachte. Er kam nicht ins Haus, lag nicht vor dem Kamin oder auf dem Sofa, er war ein reiner Hofund Wachhund mit einer entsprechenden Ausbildung. Der Schneiderhof lag einsam, es gab mehr als genug Verrückte, die Pferde auf Weiden abschlachteten.
    Taifun bellte niemals ohne Grund, aber nicht immer waren seine Gründe auch für Menschen wichtig. Den in milden Frühsommernächten häufig zu hörenden Balzruf der Rohrdommel, die im Schilfdickicht lebte und wegen ihres Rufes volkstümlich Moorochse genannt wurde, mochte er nicht besonders. Mitunter störte ihn auch einfach Schwarzwild, das sich im Dunkeln dem Hof näherte.
    Auch wenn sich nach Einbruch der Dunkelheit ein Wagen dem Hof näherte, dessen Motorklang er nicht kannte, gebärdete er sich laut genug, um jeden im Haus zu wecken.
    Motorenlärm war nicht zu hören, trotzdem wurde Taifuns Bellen dumpfer, bedrohlicher. Er wollte jemanden einschüchtern. In immer kürzeren Abständen ließ er von sich hören. Sebastian stand auf, steckte die Karte zwischen Rahmen und Glas des kleinen Spiegels neben der Tür und trat ans Fenster.

    Die Nacht war klar. Das Licht des Vollmondes floss silbrig über den Hof und das lang gestreckte Dach des Stallgebäudes. Vereinzelt zogen dünne Wolkenfetzen vorüber, kaum mehr als ein Atemhauch am Himmel. Von seinem Zimmerfenster im Obergeschoss konnte Sebastian bis ins Tal hinuntersehen. Er sah die schwarz aufragenden Wälder, die helleren Flächen der Weiden dazwischen, ein kurzes Stück der Straße – und Taifuns unruhigen Schatten in dem großen Zwinger. Allerdings sah er nichts, was Taifuns Verhalten erklärt hätte.
    Seine Tageskleidung trug er noch am Leib, also zog er schnell die leichten Turnschuhe an und verließ sein Zimmer. Nachschauen konnte nicht schaden, und wenn es nur dazu diente, Taifun zu zeigen, dass er ernst genommen wurde.
    Auf dem unteren Flur angekommen, hörte er Edgar durch die geschlossene Schlafzimmertür laut schnarchen. Kein Wunder, dass er von dem Gebelle nichts mitbekam. Wie konnte seine Mutter dabei nur schlafen?
    Sebastian schaltete von drinnen die Hofbeleuchtung an, schloss die Haustür auf und trat hinaus. Es war mild. Im grellen Licht der Scheinwerfer schritt er quer über den Hof auf den Zwinger zu, der sich neben dem Schuppen für die Autos befand.
    Taifun hatte ihn längst bemerkt und das Bellen eingestellt. Sebastian steckte seine Hand zwischen die Stäbe des Zwingers und ließ sie sich abschlecken.
    »Was ist los, alter Junge? Hast du eine Freundin im Dorf?«
    Zu zweit lauschten sie in die Nacht. Nichts zu hören. Auch im Pferdestall war es ruhig.
    Sebastian starrte mit zusammengekniffenen Augen in
die Nacht. Dabei hatte er plötzlich den Eindruck, etwas würde zurückstarren. So als hätte die Dunkelheit Augen bekommen. Ein verdammt merkwürdiges, beängstigendes Gefühl war das! Nur dank des Hundes fühlte er sich sicher. Und auch Taifun schien sich durch seine Anwesenheit beruhigt zu haben, legte sich auf den Boden und ließ sich das Nackenfell kraulen.
    Nach ein paar Minuten kam Sebastian aus der Hocke hoch und ging zurück zum Haus. Was auch immer Taifun gestört hatte, es war weg. Trotzdem kribbelte es in seinem Nacken, während er über den Hof ging. Und erst als er die Haustür hinter sich geschlossen und verriegelt hatte, ließ das Kribbeln nach.

Freitag
    »Haben Sie Angst vor Trotzek?«
    Die Frage überraschte Sebastian nicht, trotzdem zögerte er. Er war sich nicht sicher, welche Antwort Oltmanns von ihm erwartete: eine ehrliche oder eine professionelle? In den wässrigen grauen Augen seines Chefs stand wie immer nichts zu lesen.
    »Ja, ich denke schon«, sagte er und beobachtete Oltmanns. Sie saßen sich in der ledernen Sitzgruppe in dessen Büro gegenüber. Zwanglos,

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