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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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wie es schien, doch Sebastian hatte schon bei anderen Gesprächen bemerkt, dass Oltmanns nichts ohne Grund oder Hintergedanken tat. Der alte Mann war ein Fuchs, und Sebastian wusste, dass er ihm mit seiner Uni-Rethorik nicht gewachsen war.
    Oltmanns nickte. »Also, ich hätte eine Scheißangst! Ich meine, haben Sie das gelesen? Fünfzehn bis zwanzig Schläge!«
    Sebastian hatte es gelesen. Und er hatte auch die Fotos gesehen. »Ja, es ist schwer zu verstehen, wie jemand seinem Vater so etwas antun kann. Wie man überhaupt einem Menschen so etwas antun kann.«
    Oltmanns fuhr sich durch sein volles graues Haar und seufzte. Seine Tränensäcke schienen an diesem Tag noch tiefer zu hängen als sonst.
    »Vatermord ist an sich nicht ungewöhnlich. In meinen vierzig Jahren als Anwalt habe ich einige derartige Fälle vertreten. Aber nie von einer solchen Brutalität. Stellen
Sie sich nur diese Raserei vor! Was muss zwischen den beiden vorgefallen sein, dass es so weit kommen konnte? Interessiert Sie das nicht?«
    Nein!
    Das Wort lag Sebastian auf der Zunge – und dort blieb es auch. Es war nicht das, was Oltmanns hören wollte.
    »Vielleicht werden wir es nie erfahren«, wich er der Frage aus.
    Oltmanns schob seine buschigen Augenbrauen zusammen. Seine Brille rutschte ein Stück die Nase herunter. »Ich verstehe nicht?«
    »Der Mann ist verstockt. Er will keine Verteidigung. Bei unserem ersten Gespräch hat er mich nach wenigen Minuten abblitzen lassen.«
    Oltmanns sah ihn an und lächelte, als hätte er genau das erwartet. »Bleiben Sie einfach dran, Sebastian. Der Mann will ganz sicher einen Anwalt, er weiß es nur noch nicht. Manchmal gehört es zu unserem Beruf, dass wir uns verkaufen müssen. Und Sie können das! Ich hätte Ihnen den Fall sonst nicht übertragen. Sie sind der jüngste Anwalt, den ich je eingestellt habe, und ich hätte es nicht getan, wenn ich kein Vertrauen in Ihre Fähigkeiten hätte.«
    »Vielen Dank.«
    »Aber entgegengebrachtes Vertrauen muss auch bestätigt werden, nicht wahr! Also, machen Sie sich an die Arbeit!«
    Die restlichen Minuten des Gespräches waren privater Natur. Oltmanns erkundigte sich nach dem Unfall, nach seinem Befinden, und Sebastian wurde immer klarer, dass der Alte dieses Gespräch nur führte, um herauszufinden, ob die beiden freien Tage nach dem Unfall eine Flucht vor Trotzek gewesen oder tatsächlich den Umständen geschuldet waren.

    Als Sebastian später in seinem Büro saß, fragte er sich das selbst auch. Da die Antwort zwiespältig ausfiel, nahm er den Ordner Trotzek zur Hand, schlug ihn auf und machte sich an die Arbeit. So wie der Alte es verlangt hatte. Arbeit half doch eigentlich immer!
    Obenauf lagen die Fotos. Aufnahmen, die unangenehm eindringlich waren in ihrer Klarheit. Sebastian ergriff den Stapel und legte ihn umgekehrt zur Seite. Es war nicht nötig, sie erneut anzusehen. Darunter befand sich der Bericht des Gerichtsmediziners. In emotionslosen Worten stand dort zu lesen, was er sich auf den Bildern nicht mehr ansehen mochte.
    Der Leichnam weist starke Deformierungen an den Extremitäten sowie an Torso und Schädel auf. Herbeigeführt durch die aufgefundene Tatwaffe, einen 12 Kilogramm schweren Abbruchhammer mit 90 Zentimeter Stiellänge. Schädel- und Kieferknochen sind weitgehend zerstört, ebenso das Gebiss. Das Nasenbein sowie beide Jochbeine sind zertrümmert. Jeder der neun zum Schädel geführten Schläge war für sich tödlich. Der Torso ist im Bereich des Brustkorbs stark deformiert. Sämtliche vorderen Rippen sowie das rechte Schlüsselbein und das Sternum sind zerstört. Der Herzmuskel ist medial durch Knochenfragmente verletzt, die Lunge ist zerquetscht. Ferner wurden offensichtlich gezielt die Hände und Füße des Opfers verletzt. Beide Fußgelenke sind zertrümmert, ebenso beide Mittelhandknochen sowie Elle und Speiche des rechten Armes. Dem Opfer wurden 15 bis 20 Schläge beigebracht. Die genaue Anzahl lässt sich wegen der großflächigen Traumata nicht klären, ebenso wenig, welcher der Schläge zum Tod geführt hat.
    Sebastian blätterte weiter zu der Kopie des Polizeiberichts.
Waldemar Trotzek hatte selbst die Polizei informiert und war am Tatort festgenommen worden. Er leistete keinen Widerstand, gab sogar noch am Tatort zu, seinen Vater erschlagen zu haben. Seine Fingerabdrücke fanden sich am Stiel des Hammers. Das Blut seines Vaters befand sich an seiner Kleidung, seinen Händen, im Gesicht. Es gab keinerlei Zweifel an der Schuld

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