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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Persönlichkeit, geht aber verloren. Mir ist in meiner aktiven Zeit nie etwas untergekommen, was mich von dieser Meinung abgebracht hätte … bis ich Ellie Brock kennenlernte.«
    Schröder legte eine Pause ein und trank einen Schluck Kaffee. Uwe sagte nichts. Geduldig wartete er ab, konnte aber eine gewisse Anspannung nicht verleugnen. Was war es, das Ellie Brock für diesen Mann so besonders gemacht hatte?
    »Sie wissen, was Empathie bedeutet?«, fragte Schröder plötzlich.
    »Ja, natürlich. Die Fähigkeit, sich mit den Gedanken und Gefühlen anderer zu beschäftigen.«
    »Nein, eben nicht. Das Wort leitet sich von dem griechischen empάtheia ab, was Leidenschaft bedeutet. Es geht darum, sich in die Gedanken, Gefühle, ja in das Weltbild eines anderen Menschen hineinzufühlen, es von innen heraus zu betrachten, als wäre es das eigene. Sich damit zu beschäftigen reicht nicht, das ist zu oberflächlich. Können Sie sich vorstellen, was Empathie in Perfektion bedeuten würde?«
    »Äh … nein.«
    »Es würde bedeuten, sich zumindest zeitweise so sehr in dem Weltbild eines anderen aufzulösen, dass es nur noch diese eine Sichtweise gibt, keine zweite mehr.«

    »Ich verstehe nicht so ganz, worauf Sie hinauswollen.«
    »Das glaube ich Ihnen. Ich verstehe es ja selbst nicht richtig. Es ist aber die einzige Möglichkeit, mir selbst zu erklären, was Ellie Brock ausgemacht hat. Ohne diesen Ansatz einer Erklärung müsste ich ja davon ausgehen, sie hätte …« Schröder stockte und runzelte die Stirn.
    »Wovon müssten Sie ausgehen?«
    Der alte Mann rang noch einen Moment mit sich, schien nach Worten zu suchen, die schlüssig erklären konnten, was eigentlich nicht zu erklären war.
    »Sie wissen sicherlich, was wir Mediziner machen, nicht wahr? Wir dringen mit Worten oder Medikamenten in die Köpfe unserer Patienten vor und versuchen sie dann zu manipulieren. Das klappt mal schlechter, mal besser. Eigentlich ist es eine ziemlich uneffektive Methode, aber eine andere kenne ich nicht. Ellie Brock aber schon. Sie war eine hoch manipulative Person, ohne dass ich je erkannt hätte, wie sie das angestellt hat.«
    Schröder beugte sich ein wenig vor und sah Uwe fest in die Augen.
    »Und jetzt werde ich zum ersten, einzigen und auch letzten Mal aussprechen, was auszusprechen ich mich nie getraut habe. Sie dürfen sich also geehrt fühlen.«
    Schröder stockte kurz, schien noch einmal abzuwägen, ob er es wagen konnte.
    »Eine Zeit lang glaubte ich wirklich, Ellie Brock sei in der Lage, in die Köpfe anderer Menschen einzudringen und sozusagen die Befehlsgewalt zu übernehmen. Das klingt dumm, ich weiß, aber … Aber ich habe keine andere Erklärung.«
    »Erklärung wofür? Können Sie mir ein konkretes Beispiel nennen? Was hat Ellie Brock damals getan?«

    Schröder stellte endlich die leere Kaffeetasse weg und fixierte Uwe erneut. »Warum interessiert sich die Polizei überhaupt für Ellie Brock?«
    »Darüber darf ich nicht sprechen. Wahrscheinlich ist es ohnehin unbegründet und die Mühe der langen Fahrt hierher nicht wert.«
    »Hat man Ellie Brock entlassen?«
    »Ich hatte eigentlich gehofft, dass Sie mir das sagen könnten.«
    »Zu meiner Zeit wurde sie nicht entlassen, ich hätte dem auch niemals zugestimmt. Aber ich bin seit sechs Jahren in Pension, ich kann es Ihnen also nicht sagen. Aber eines kann ich Ihnen sagen …«
    Plötzlich wies ein langer dürrer Finger mit dunkler Erde unter dem Nagel in Uwes Richtung.
    »Wenn Ellie Brock entlassen wurde, ist Ihre Fahrt die Mühe wert, verlassen Sie sich darauf. Wenn Ellie auf der Suche nach ihrem Kind ist und Sie ihr im Weg stehen, werden Sie die Leute noch verfluchen, die Ellie Brock die Freiheit geschenkt haben!«
     
    Die gelben Feuerkegel der Kerzen bildeten helle Nester warmen Lichts auf den Regalen, Tischen und der Anrichte. Schattenecken veränderten ihre Umrisse, sobald die Flammen in Bewegung gerieten. Außer den Kerzen gab es keine weitere Lichtquelle in der Wohnung. Der Geruch erwärmten Wachses und abgebrannter Streichhölzer lag in der Luft, dazwischen der Duft feiner Kräuter. Im Hintergrund lief eine langsame Ballade zu den Klängen von Cello und Geige.
    Noch immer stand Sebastian bewegungslos auf der Schwelle, befürchtete er doch, die Atmosphäre des Raumes
zu zerstören, sobald er ihn betrat. Saskia Eschenbach stand ihm gegenüber. Im sanften Licht der Kerzen wirkte sie wie eine perfekt modellierte Statue und doch zu lebendig, um aus kaltem Marmor zu

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