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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Konnte er bei dem Unfall eine Art Trauma davongetragen haben, das nicht bemerkt worden war? Auf jeden Fall hörte sich diese Vermutung verdammt viel besser an als die von einem Tumor!
    »Vielleicht hast du recht.«
    »Ganz bestimmt habe ich recht! Gleich am Montag gehst du hin, verstanden?!«
    »Jawohl, Herr General … aber eines sollten wir dabei nicht außer Acht lassen.«
    »Was?«
    »Sollte ich von dem Unfall doch einen dauerhaften Schaden davontragen, muss ich dich nachträglich noch verklagen. Schmerzensgeld, Verdienstausfall, Behindertenrente … die ganze Palette.«
    Mit diesem Scherz hatte Sebastian die angespannte Atmosphäre auflockern wollen, aber in Saskias Gesicht erkannte er sofort, dass sie nicht zum Scherzen aufgelegt war. Sein Anfall musste sie wirklich geschockt haben. Es rührte ihn, wie sehr sie sich um ihn sorgte.
    »Mach dich nicht lustig darüber. Vorhin im Bad hatte ich wirklich Angst um dich.«

    »Tut mir leid.«
    »Ich verliebe mich doch nicht bis über beide Ohren, um dich dann gleich wieder zu verlieren.«
    Wieder rannen Tränen aus ihren Augen.
    »Hey …« Er strich ihr das feuchte Haar aus der Stirn. »So schlimm ist es doch nicht. Du wirst mich nicht verlieren. Das verspreche ich dir.«

Sonntag
    Die Sonne verkroch sich hinter einem dunstigen Schleier, der sich wie ein zerschlissenes Betttuch über den gesamten Himmel ausbreitete. Er filterte das Sonnenlicht und ließ es trübe und schmutzig wirken. Uwe Hötzner wusste, dass solche Schleierwolken häufig einen Wetterwechsel ankündigten. Schaden konnte es nicht; für Anfang Juni war es viel zu warm, außerdem nervte die hohe Luftfeuchtigkeit. Drei Diensthemden hatte er in der letzten Woche durchgeschwitzt, ohne sich dabei viel bewegt zu haben.
    Er lenkte seinen Wagen bedächtig durch die letzte Kurve, sah den weißen Zaun und die Tordurchfahrt des Schneiderhofes vor sich auftauchen und spürte wieder dieses bedrückende Gefühl im Bauch. Seit er aufgestanden war, war es da, mal mehr, mal weniger intensiv. Eigentlich war sein Magen ein Wunderwerk an Robustheit, doch heute hatte ihm dieses Gefühl sogar das Frühstück verdorben. Hoffentlich hatte er sich bei dem alten Schröder nichts eingefangen! Die Tassen hatten nicht besonders sauber ausgesehen. Allerdings konnte er sich auch etwas ganz anderes dort eingefangen haben! Befürchtungen, Vorahnungen, Angst. Das würde auch die verwirrenden Träume letzte Nacht erklären.
    Uwe parkte seinen Wagen vor dem Schuppen und bemerkte, dass Sebastians Wagen fehlte. Nicht sein eigener, der noch immer in der Werkstatt repariert wurde, sondern der Leihwagen, mit dem der Junge jetzt fuhr. Das passte
gut! Was er Edgar und Anna zu sagen hatte, war vorerst nicht für die Ohren des Jungen bestimmt.
    Kaum hatte Uwe die Tür seines Wagens zugeschlagen, spürte er es – etwas stimmte nicht! Über dem Schneiderhof lag eine bedrückende Stille, ein merkwürdiger Mangel an Licht und Luft, als befände sich das Anwesen unter einer Kuppel. Dieser Eindruck war so überwältigend, dass Uwe automatisch die Schultern zusammenzog und sich Gänsehaut auf seinen Unterarmen ausbreitete. Er verharrte neben seinem Wagen und betrachtete das Haus. Alle Fenster waren dunkel, niemand kam heraus, ihn zu begrüßen, was sonst eigentlich immer der Fall war. Außerdem brannte die Hofbeleuchtung!
    Uwes Magen zog sich noch heftiger zusammen. Sein Frühstück stieg ein gutes Stück in der Speiseröhre empor. Er öffnete die Wagentür, beugte sich hinein und holte seine Dienstwaffe aus dem Handschuhfach. Mit Blick auf den eingeschalteten Außenstrahler ließ er das Magazin einrasten. Edgar würde niemals am helllichten Tage die Außenbeleuchtung brennen lassen!
    Die Waffe am langen Arm ging Uwe mit kurzen Schritten auf das Haus zu. Aus den hohen Eichen dahinter stieg lärmend ein Schwarm Krähen auf. Ihr hässliches Gekrächze ließ ihn zusammenzucken. Gleichzeitig bemerkte er eine Gruppe der großen schwarzen Vögel vor der Tür des Stalls. Sie waren emsig mit irgendwas auf dem Boden beschäftigt. Uwe näherte sich, bemerkte dabei einen roten Bogen an der weißen Wand des Stalls, so als habe jemand dort mit Farbe herumgespritzt. Zwei Sekunden glaubte er noch daran, dass alles gut werden würde, zwei Sekunden verrannen, bevor sein Weltbild aus den Fugen geriet. Mit einem lauten Tsch! Tsch! verscheuchte er die hüpfenden
und meckernden Aasfresser, die ihre Beute nicht kampflos aufgeben wollten. Schließlich flogen sie doch davon

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