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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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warten.

    »Oh, wie schade! Dann habe ich den ganzen Weg umsonst gemacht«, sagte sie, stützte sich schwer auf den Gehstock und wankte bedenklich.
    »Kommen Sie von weit her?«
    »Na ja, ich bin mit dem Zug gekommen. Vom Bahnhof hierher bin ich eine Stunde gelaufen … und das in dieser Wärme heute. Aber da kann man wohl nichts machen. Ich hätte eben vorher anrufen sollen.«
    Sie tat, als wolle sie gehen.
    Die alte Frau trat einen Schritt vor. »Eine ganze Stunde, bei dem Wetter! Sie hätten sich ein Taxi nehmen sollen.«
    Sie ließ ein Lächeln sehen, in dem deutlich zu lesen stand, dass sie sich ein Taxi nicht leisten konnte.
    »Sind Sie eine Verwandte von Frau Eschenbach?«
    »Ja, die Tante. Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, und nun ist mein Mann verstorben, und ich dachte … Na ja, ich hätte eben vorher anrufen sollen.«
    Sie ging einen weiteren Schritt zurück, doch die alte Frau streckte ihre knochige Hand aus und berührte sie an der Schulter.
    »Nein, nein, Sie gehen mir nicht wieder in die Sonne. Sie können ebenso gut bei uns auf Frau Eschenbach warten. Ich mach uns einen schönen Tee.«
    Sie lächelte scheu. »Ich weiß nicht …«
    »Doch, doch, kommen Sie nur herein.«
    Die alte Frau trat in den Hausflur zurück und winkte. Winkte wie die Hexe aus Hänsel und Gretel, die sich den eigenen Tod ins Haus holte. »Kommen Sie nur! Hier ist es angenehm kühl.«
    Sie lächelte und betrat das Haus. Schwer baumelte die Handtasche an ihrer Seite.

    Saskia schloss die Toilettentür hinter sich und sank leise seufzend auf dem WC-Sitz zusammen. Sie presste die Hände gegen die Schläfen, rieb daran, wurde aber den scheußlichen Druck in ihrem Kopf nicht los. Noch waren es keine Kopfschmerzen, aber sie kannte das Gefühl, wusste daher, dass die kleinen Messer nicht mehr weit entfernt waren, die so hervorragend zu quälen verstanden. Unter großer Anspannung kam es häufiger vor und natürlich immer dann, wenn sie es am allerwenigsten gebrauchen konnte.
    Seit sie den Schneiderhof verlassen hatte, hatte sie sich kaum auf den Job konzentrieren können. Immer wieder war sie in Gedanken zu Sebastian zurückgekehrt, immer wieder hatten sich schlimme Vorahnungen eingestellt, gepaart mit der Angst, ihm könnte etwas passiert sein. Sie hätte den Termin absagen sollen, das wäre klüger gewesen. Das Meeting mit Karl Block, ihrem neuen Kunden, der sie für die Einrichtung seines neuen Firmensitzes engagiert hatte, war unter diesen Umständen eine Qual, und er hatte sicher längst bemerkt, dass sie nicht bei der Sache war. Ohnehin konnte sie sich glücklich schätzen, ihn nicht bereits wieder verloren zu haben. Diese Unternehmertypen hatten nicht viel Geduld, und durch den Unfall lag sie bereits eine Woche hinter der Zeit zurück. Blocks eindeutige Blicke auf ihren Hintern und ihre Brust hatten ihr aber längst verraten, warum er sie ausgewählt hatte, und weshalb seine Geduld noch nicht überstrapaziert war. Sei’s drum, der Auftrag war es wert.
    Jetzt hockte sie hier auf der Toilette und wäre viel lieber bei Sebastian gewesen. Sie hätte ihn nicht allein lassen dürfen, trotz seiner Beteuerungen. Er war traumatisiert, er konnte seine Lage gar nicht realistisch einschätzen. Sollte
ihm da oben etwas zustoßen, würde sie sich auf ewig Vorwürfe machen.
    Saskia drückte die Spülung, zog sich an, verließ die kleine Kabine und blieb vor dem Waschbecken stehen. In dem matt beleuchteten Spiegel sah sie sich an. Müde Augen, natürlich, aber Kajal, Tusche und Eyeliner taten das ihrige, Make-up den Rest. Darunter sah es allerdings anders aus, weit weniger perfekt. Nein, es hatte keinen Sinn! Viel länger würde sie nicht mehr durchhalten. Ein Blick auf die Uhr. Zehn nach drei. Bis vier hatte sie eigentlich bleiben wollen, doch jetzt erschien ihr die Zeit bis dahin viel zu lang. Karl Block hatte sich bereits vor einer halben Stunde verabschiedet, der würde heute sicher nicht mehr nach den Fortschritten seines Prestigeobjekts, des Konferenzsaals, sehen, und die Handwerker wussten, was noch zu tun war. Sie könnte sich loseisen, auch wenn das eigentlich ihrer Arbeitsauffassung widersprach. Scheiß drauf! Jetzt war anderes wichtiger.
    Sie wusch sich die Hände, trocknete sie notdürftig unter dem Gebläse und kehrte in den Konferenzraum zurück. Dort sprach sie noch kurz mit dem Vorarbeiter der Elektrofachfirma über die letztendliche Platzierung der Halogenstrahler an der Wand, an der später Gemälde präsentiert werden

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