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Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein

Titel: Hänschen klein - Winkelmann, A: Hänschen klein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Geruch ging davon aus, so als hätte sich vor Kurzem etwas darin verkrochen, um zu sterben. Saskia blieb einige Minuten liegen und nahm all das in sich auf. Während dieser Zeit veränderte sich nichts. Weder das wenige Licht noch der Geruch, und schon gar nicht die Grabesstille. Nicht ein einziges noch so leises Geräusch vermochten ihre Ohren aufzunehmen. Schließlich wagte sie es, hob die rechte Hand langsam zum Kopf, um vorsichtig die Stelle zu ertasten, von der ein gemeiner, stechender Schmerz ausging. Die Stelle an ihrer Stirn war feucht und sehr empfindlich. Sie befand sich an der gleichen Stelle wie die Narbe vom Unfall mit Sebastian.
    Sebastian!
    Kaum hatte sie seinen Namen gedacht, tauchte für den Bruchteil einer Sekunde sein Gesicht in der Dunkelheit vor ihr auf. Derart realistisch war diese kurze Vision, dass Saskia nicht anders konnte, als sich aufzurichten. Sie wollte seinen Namen rufen, wollte nach ihm greifen, ihn in die Arme schließen. Doch die schnelle Bewegung führte zu nichts anderem als einem Schwall heißen Schmerzes, der wie eine Welle durch ihren Brustkorb schwappte. Mühsam unterdrückte sie einen Schrei und ließ sich wieder zurücksinken, blieb zitternd liegen. Erst nachdem der Schmerz
langsam abgeebbt war, tastete sie vorsichtig an ihrem linken Rippenbogen entlang. Dort befand sich eine große geschwollene Fläche, die empfindlich und heiß war.
    Sebastian!
    Sie war doch nach Hause gefahren, um sich dort mit ihm zu treffen! Wie kam sie an diesen unbekannten Ort? Was war passiert?
    Saskia ging in ihrer Erinnerung rückwärts, so weit es ihr möglich war. Die Besprechung bei Block, überlagert von der Sorge um Sebastian. Ihre Flucht auf die Toilette, der lange Weg aus dem Gebäude und über den großen Parkplatz zu ihrem Wagen, die nervend langsame Fahrt nach Haus. Die Haustür, der Schlüssel in ihrer Hand und …
    Und nichts. Von dort bis jetzt zog sich eine schwarze Ebene ohne Erinnerung. Irgendetwas musste passiert sein, nachdem sie die Haustür aufgeschlossen hatte. Irgendetwas hatte sie aus ihrer Welt gerissen. Aber was? Und wohin? Wo befand sie sich hier?
    Erneut versuchte Saskia, sich aufzurichten. Die gesamte linke Seite ihres Brustkorbs schmerzte sofort, doch diesmal war sie darauf vorbereitet. Sie biss die Zähne zusammen und kämpfte gegen den Schmerz an. Zentimeterweise drückte sie ihren Oberkörper mit der Kraft ihrer Arme hoch, und jeder Zentimeter war eine Tortur. Als sie es jedoch geschafft hatte, als sie aufrecht saß und einatmen wollte, wurde der Schmerz unerträglich. Saskia drückte den Rücken durch und japste nach Luft. Schweiß lief ihr von der Stirn in die Augen. Erst jetzt bemerkte sie, wie warm, abgestanden und stickig die Luft in diesem Raum war.
    Ihre Hand wanderte an die pochenden Rippen. Zu jener Stelle, die seit dem Unfall mit Sebastian noch nicht wirklich verheilt war. Damals waren die Rippen angebrochen,
allein das hatte schon weh genug getan, doch jetzt schienen sie richtig gebrochen zu sein. Hatte sie wieder einen Unfall gehabt? Täuschte sie ihre Erinnerung? War sie gar nicht bis nach Hause gekommen, sondern in ihrer Sorge und Nervosität erneut in einen anderen Wagen gerast? Aber nein, das konnte nicht sein. Dann wäre sie in einem Krankenhauszimmer aufgewacht, nicht in einem dunklen, miefigen, überhitzten Raum.
    Saskia zog die Beine ein wenig an, bohrte die Fersen in die weiche Unterlage und drückte sich nach hinten. Auch das ging nicht ohne Schmerzen, doch es war erträglich. Vielleicht gewöhnte sie sich aber auch nur daran. Als sie eine Wand in ihrem Rücken spürte, lehnte sie sich dagegen und atmete so flach wie möglich. Ihr Rhythmus glich dem Hecheln eines Hundes. Nach einer Weile ging es dann wieder. Sie konnte sich auf die Umgebung konzentrieren, statt nur auf ihr Inneres.
    Die Perlenkette aus Licht entpuppte sich in sitzender Position als ein schmaler Spalt in einem heruntergelassenen Rollladen. Das einfallende Tageslicht versickerte jedoch in der Dunkelheit. Mehr als Schatten und dunkle Umrisse konnte Saskia nicht erkennen. Die mochten von Möbelstücken stammen, konnten aber ebenso gut auch grauenhafte Gestalten sein, welche sie aus den Ecken dieses fremden Raumes heraus beobachteten. Mit ihren schwarzen Augen und scharfen Krallen nur auf einen Fluchtversuch von ihr wartend. Die Dämonen jeder Kindheit, schwarze Kreaturen in Schränken und unter Betten. Erst jetzt verspürte Saskia Angst. Tiefe, namenlose Angst, wie es sie in ihrem

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