Haeppchenweise

mitnimmt. Doch der Augenblick geht vorbei, als Vida sich grob an ihr vorbeidrückt und neben mich kauert.
    „Warum hast du nicht gesagt, dass du Sorgen hast?“
    „Was sollte ich denn sagen?“ Ich lache bitter auf. „He Leute, ich weiß weder links noch rechts? Vielleicht muss ich das Cook & Chill schließen?!“
    „So in etwa. Wozu hat man Freunde?“
    „Ihr seid echt goldig, wenn ihr euch nicht gerade gegenseitig umbringt.“
    „Ach, das meinen wir eigentlich gar nicht so, ... oder Henry?“ Vida macht eine wegwerfende Handbewegung, doch die Angesprochene wendet sich finster ab.
    „Und nun?“
    Ich schaue in die ratlosen Mienen und fühle mich merkwürdigerweise besser.
    „ Er hat da eine Idee ...“ Gedankenverloren zieht Friedrich sein Mobiltelefon aus der Brusttasche seines Hemdes.
    „Wir haben ein Semifreddo-Rezept gefunden! Ihr glaubt nicht, was ... Oh!“ Julia legt eine Vollbremsung ein. „Alles in Ordnung?“ 
    Im selben Augenblick ertönt ein erstickter Schrei aus dem Buchladen, gefolgt von ohrenbetäubendem Krachen und Poltern. Julia reißt die Augen auf.
    „Du hast Roúla vergessen“, sage ich leise. Dann springe ich auf und laufe los.
    Als ich Johannes endlich einhole, legt er noch an Tempo zu, beharrlich den Blick geradeaus gerichtet. Ich japse nach Luft, greife nach seinem Ellbogen und bekomme den Ärmel seines Jacketts zu fassen.
    „Warte!“
    „Was willst du noch, Katta?“
    Da ist es wieder. Das Dr.-Hennemann-Gesicht, das mich jahrelang zu einem akkuraten Päckchen gefaltet hat.
    „Ich will meinen Freund Johannes zurück. Den, der mich um Rat gebeten hat, als er nicht mehr weiter wusste!“
    „Lass los!“ Unversöhnlich versucht er, meine Hand abzuschütteln, doch meine Finger liegen wie Schraubzwingen um sein Handgelenk.
    „Nur, wenn du mir zuhörst.“
    Ich zeige auf die Stufen eines Hauseingangs. Er setzt sich wortlos, aber nicht ohne vorher mit der Handfläche über die Steinplatte zu wischen. Schwer atmend taste ich nach dem Zigarettenpäckchen in meiner Tasche.
    „Du solltest das Rauchen sein lassen. Deine Lunge pfeift wie ein Dampfkessel.“
    Ich nicke und sauge gierig an dem Stäbchen, was einen heftigen Hustenanfall nach sich zieht. Belustigt sieht Johannes mich von der Seite an.
    „Tut mir leid, dass ich vorhin so grob zu dir war“, flüstere ich.
    „Hm.“ Seine Anwaltsstirn glättet sich.
    „Das Leben als frischgebackener Vater ist kompliziert, oder? Ich würde trotzdem liebend gern mit dir tauschen.“
    „Du hast keine Ahnung, wovon du da redest.“
    Ich denke an den missratenen Kindergeburtstag. Und daran, wie Brittas Nichte einmal mit meinem Chanel-Lippenstift eine Schafherde auf meine Schlafzimmerwand gemalt hat. Eine fraglos hübsche Schafherde ...
    „Dein Problem wird zwar nicht kleiner, aber irgendwann erwachsen. Ich kann froh sein, wenn meins nächstes Jahr überhaupt noch existiert“, murmele ich kleinlaut.
    „Im Geschäftsleben läuft es selten glatt, Katta. Du musst die Durststrecken zu deinem eigenen Vorteil nutzen.“
    „Verrätst du mir auch, wo ich die Gebrauchsanleitung dafür herunterlade?“
    „Es geht darum, das Beste aus den Katastrophen herauszuholen. Wer könnte das besser, als eine Katharina Lehner?“
    Wunderbar. Ein weiterer guter Ratschlag, mit dem ich nichts anzufangen weiß.
    Johannes erhebt sich und klopft den nicht vorhandenen Staub von seiner Hose.
    „Was jetzt? Verzeihst du mir?“
    Bittend schaue ich nach oben, doch sein Gesicht liegt im Schatten. Wohl aber registriere ich die Daumenbewegung und das Erlöschen seines Handydisplays.
    „Ich denke, wir sollten Roúlas Dessert in Angriff nehmen, ehe sie vergessen hat, was ein Semifreddo ist.“
     
     
    Jørgensens Semifreddo vom Rhabarber
     
    Man nehme für vier Personen:
    450 g. Rhabarber, 150 g. Zucker, 2 Messerspitzen Vanille,
    150 g. Butter, 150 ml Sahne, 3 Eigelbe, 400 g. Erdbeeren.
     
    Den Rhabarber zuschneiden, die Fäden abziehen und die Stangen in kleine Stücke teilen. Zucker und Vanille unterrühren und 30 Minuten ruhen lassen. Die Rhabarberstücke in einem Topf aufkochen, bis der Saft eingekocht ist. Den Rhabarber in den Behälter für den Mixstab füllen, Butter und Eigelbe hinzufügen. Mixen, bis eine cremige Masse entsteht und abkühlen lassen. Die Sahne steif schlagen und unter die Rhabarbermasse heben. In einer mit Klarsichtfolie ausgelegten Form rund 8 Stunden im Tiefkühlfach kühlen und mindestens eine halbe Stunde vor dem Verzehr in den Kühlschrank