Haeppchenweise
später bewusst, dass der Laut von einem übersteuerten Mikrofon ausging. Im Studio herrscht kurz darauf Grabesstille.
Julius hüstelt und Britta tippt mit weit aufgerissenen Augen an ihre Schläfe.
„Sie wars!“ Julius Daumen piekst in meinen Oberarm.
Ich bin wie gelähmt. Von der Leinwand schaut mir mein blasses Gesicht entgegen, furchtsam und verlegen. Und erstaunlich entschlossen.
In das verhaltene Klatschen im Saal fallen mehr und mehr Hände ein, bis donnernder Applaus meinen Sitz vibrieren lässt. Die grauen Herren in dem gläsernen Kasten reagieren blitzschnell. Endlich erlischt das Brennen auf meiner Stirn, als die Scheinwerfer sich verdunkeln und das Starcooksjingle die Werbepause einspielt.
„Wir finden die Idee famos, Frau Lehner!“
Manfred Novela, der Produktionsleiter von Vivo TV, ist ein glatt rasierter Mann mit Bettfrisur, die in merkwürdigem Kontrast zu seinem gebügelten Designersakko steht. Er kaut auf einem Zahnstocher herum, dessen ausgefaserte Enden den Schluss nahelegen, dass der Holzspan seit Stunden zwischen seinen Lippen hängt. Er fläzt lässig in seinem Bürosessel und wippt mit den Knien, beugt sich aber plötzlich vor und legt eine schweißige Hand auf meinen Unterarm. Ich beherrsche den spontanen Reflex, die unerwünschte Vertraulichkeit abzuschütteln.
„Der Sender setzt 20.000 Euro als Preisgeld, sollten Sie das Wettkochen gewinnen. Vergessen Sie nicht die Publicity für ihr Cook und ... Dings. Wir erreichen jede Woche 150.000 Zuschauer!“
Die Vision von 150.000 Argusaugenpaaren, die meinen Untergang begeifern, verursacht Gänsehaut auf meinem Körper. Überall.
„Sag ihm, dass es eine Schnapsidee war!“, flüstert Britta und bohrt ihren Ellbogen in meine Rippen.
Ich öffne den Mund. Heraus kommt: „...“.
„20.000 und Sie legen noch 5.000 zur Kostendeckung drauf!“, antwortet Julius an meiner Stelle und schlägt die Beine übereinander.
„Halt die Klappe, Zander!“, jault Britta auf.
„Außerdem schließt Jørgensen den Laden in der Brüsseler Straße, wenn wir beweisen, dass wir besser sind“, lächelt Julius verschlagen.
„Gilt das auch umgekehrt?“
Alle Augen richten sich auf mich.
„Frau Lehner?“
„Tu´s nicht, du Idiotin“ , sagt der Engel und tippt an seine Stirn. Teufel knufft den Flattermann in die Seite: „Quatsch! Die hat eh nix mehr zu verlieren. Warum nicht vor der Pleite noch ein bisschen Spaß haben!“– „Sie hat wohl was zu verlieren! Ihren guten Ruf zum Beispiel ...“ – „Ruf?! Mumpitz!“
Ich hebe die Hand. Die Streithähne verstummen.
„Wette ist Wette“, antworte ich tonlos und ergreife die Hand des Produktionsleiters. Der kleine Engel kippt ohnmächtig von meiner Schulter, während Teufelchen eifrig ein Schiffstau um meinen Brustkorb schnürt.
„Katta! Nicht!“ Britta fasst verzweifelt meinen Arm.
Ich hebe das Kinn und zwinge mich, Novelas prüfendem Blick standzuhalten.
„Sollten wir verlieren, wäre in dieser Stadt ohnehin kein Platz mehr für das Cook & Chill.“
Zwischen Himmel und Erde
Himmel und Erde (Himmel un Äd) ist ein traditionelles rheinisches Gericht aus Kartoffelbrei und Apfelmus, dessen lustiger Name nicht etwa entstand, weil im katholischen Köln Himmel und Erde besonders nah beieinanderliegen. Tatsächlich leitet sich der Begriff der Speise von ihren Zutaten ab. Kartoffeln (Ädäpfel), stehen für die Erde (Äd) und Äpfel wachsen bekanntlich an Bäumen, sozusagen im Himmel. Auch wenn „Himmel un Äd“ oft mit Blutwurst (Flöns) serviert wird, trägt diese keinen Anteil an der Namensgebung.
An diesem Kursabend traue ich mich kaum, die Küche zu betreten. Stattdessen tigere ich seit einer Viertelstunde vor der Küchentür auf und ab. Da drinnen geht es heiter zu: Gedämpftes Lachen und Topfgeklapper dringt an mein Ohr, dazwischen Vidas unverwechselbares Zwitschern. Ich lege den Kopf auf das kühle Holz und lausche.
„Wenn Katta sieht, dass du mit Lebensmitteln spielst, bringt sie dich um!“
„Papperlapapp. Die Chefin wälzt derzeit andere Probleme. Ein Vöglein flötete ihm zu, dass Felix ausgezogen ist. Außerdem spielt er nicht mit Lebensmitteln, er jongliert mit Apfelsinen“, antwortet eine dumpfe Stimme, die ich unschwer Friedrich Busch zuordne. Gemurmel, erneutes Gelächter. Ich hole Luft und ... drücke die Klinke.
Die fröhlichen Foppereien verstummen schlagartig. Eine Orange rollt durch die Stille und kommt kurz vor meinen Füßen zum Stehen. Julia
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