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Haeppchenweise

Haeppchenweise

Titel: Haeppchenweise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia_Winter
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wegzublinzeln.
    Mir bleibt das Gelächter im Hals stecken. Henry ist kalkweiß geworden und die Panik in ihren Augen scheint wirklich echt zu sein.
    „Das ist Henry. Eine unserer Anfängerkochschülerinnen“, antworte ich schnell, denn Henry hat es offenkundig die Sprache verschlagen.
    „Soso. Hen-riee.“ Julius wirkt verwirrt, lässt aber Henrys Hemdkragen los und kratzt seinen Bart. Dabei mustert er das Mädchen von den offenen Schnürsenkeln bis zur Stoppelfrisur eingehend. „Hab ich dich hier schon mal gesehen?“
    Henry beißt sich auf die Lippen und schüttelt rasch den Kopf.
    „Wir haben uns schon seit einiger Zeit nicht mehr gesehen“, flüstert sie.
    Was nun geschieht, wird sich für Lebzeiten in mein Gedächtnis tätowieren. Mit Schnörkeln und dem heutigen Datum, meinetwegen auch mit Blümchen.
    Julius Gesichtsmuskulatur erschlafft. Er blinzelt ungläubig und schluckt, als würge er eine Tasse Mehl herunter. Dann werden seine Augen so butterweich, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Diesen Ausdruck hatte er nur, wenn er Hund gestreichelt hat. Die Sahnedose glitscht aus meinen Fingern und poltert auf die Steinfliesen. Weiße Spritzer verteilen sich auf meinen Ballerinas, begleitet von einem lauen „Pfffth!“ aus dem Sprühkopf.
    „Henriette ...“, sagt er tonlos. Alle Farbe ist aus seinem Gesicht gewichen.
    Henry sieht verlegen zu Boden.
    „Hallo Papa.“
    Julius Zeigefinger verharrt minutenlang auf seinem Kinn. Hinter seinen herabgesackten Schultern erspähe ich Helgas verstörte Miene und Muttis Gebärdenfragezeichen. Selbst die Kücheneinrichtung scheint den Atem anzuhalten.
    Aber Julius Überraschung zerbröselt rasch und die vertrauten Knitterfalten kehren an ihren angestammten Platz zurück. Er schnaubt, zupft mit der Linken an seinem Hosenboden, als kneife seine Unterhose ... und geht. Kein zweiter Blick für seine Tochter, nur eine knallende Tür als Antwort auf die Fragezeichen in unseren Gesichtern. Henry lächelt und wendet sich stumm ab.
     
    „Geh weg. Ich will allein sein!“
    Ich verschränke die Ellbogen vor meiner Brust und schüttele störrisch den Kopf. Seit einer halben Stunde throne ich im Schneidersitz auf Helgas Lesesessel, entschlossen, das Wohnzimmer nur mit einer befriedigenden Erklärung zu verlassen.
    Julius murrt Unverständliches und greift nach der Whiskyflasche auf dem Couchtisch. Schweigend sehe ich zu, wie er sein Glas bis zum Rand füllt. Der scharfe, säuerliche Geruch löst sofort ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend aus. Ehe er die Flasche abstellt, setzt er sie rasch an die Lippen und trinkt gierig. Wischt mit dem Handrücken über seinen Mund und angelt nach dem Whiskyglas.
    „Findest du es nicht unhöflich, mir keinen Drink anzubieten?“
    Julius sieht mich argwöhnisch an.
    „Ist das eine neue Psycho-Methode, um mich vom Saufen abzuhalten?“
    „Nein.“ Ich nicke freundlich. Schnell schiebt er die Flasche außer Reichweite.
    „Das ist nichts für junge Damen!“
    „Aber für Männer deines Alters schon?“, kontere ich bissig und zeige auf die deutliche Rundung unter seinem Hemd. Einige Knöpfe fehlen in der Leiste.
    „Bei mir ist es eh fünf vor zwölf.“
    „Wenn du das so siehst ...“ Ich entknote umständlich meine Beine, lasse sie in der Luft baumeln und stehe ruckartig auf. „Ich geh dann mal.“
    „Was soll das denn jetzt?!“
    „Warum sollte ich meine Energien an einen sauertöpfischen Dickschädel verschwenden?“
    Statt mich anzusehen, flattert sein Blick zu dem Hundekörbchen unter dem Fenster. Irgendwer hat die Decke gefaltet und ordentlich über den Rand gelegt, Hunds roter Lieblingsball liegt mittig darin, als warte er darauf, dass jemand mit ihm spielt.
    „Erinnerst du dich an unser Kirchenbankgeplauder?“, sage ich leichthin.
    Julius starrt mit leeren Augen auf das verlassene Plätzchen und setzt das Glas erneut an.
    „Ich finde, dass Gott eine lausige Besetzung für den Job des Allmächtigen ist. Offenbar langweilt er sich da oben und macht sich einen Jux daraus, denen Steine vor die Füße zu werfen, die es nicht verdient haben. Dafür schenkt er anderen mehr Wohlwollen, als gut für sie ist. Dir zum Beispiel.“
    „Deshalb hat er also meinen einzigen Freund unter die Räder gebracht! Weil er mir einen Gefallen tun wollte! Wie scharfsinnig von dir, Katta!“
    „Hund ist tot und das ist schrecklich ...“
    „Erspar mir dein Mitleid!“
    „... aber vielleicht kehrt für alles Gute etwas Besseres in unser Leben

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