Haeppchenweise
Kopf, der Anwalt wiegt seinen hin und her. Julius sucht Henriettes Gesicht. Sie kaut auf den Lippen und bemüht sich sichtlich, nicht so auszusehen, als sei sie neugierig. Julius verkneift sich ein Lächeln. „Mats Jørgensen lasst ihr getrost mein Problem sein.“
Henry: Servus Schnittker. Alles Okay in der Nachtschicht?
Tom: Frau Kollegin! Rufst du an, um die Streife zum Nachtmahl einzuladen?
Henry: Demnächst bestimmt, Tom. Erinnerst du dich noch an die Wohnungsräumung in der Dünnwalder Straße?
Tom: Himmel, hat´s da gestunken!
Henry: Was ist eigentlich mit den Welpen passiert?
Tom: Die Kollegen haben den Wurf letzte Woche ins Dellbrücker Tierheim gebracht. Warum fragst du?
Henry: Hab vielleicht ´nen Interessenten. Danke dir.
Tom: Keine Ursache. Und, Junghans?
Henry: Hm?
Tom: Ich nehm die Einladung wörtlich. Dich mit Kochschürze zu sehen, ist ein grauenhaftes Nachtmahl wert.
Henry: Solange du nicht weißt, mit welcher Gabel man die Vorspeise isst, lohnt der Aufwand einfach nicht, dir was anderes als Spagetti Napoli vorzusetzen, Schnittker.
Tom: Touché, Süße!
Henry hat aufgelegt.
Um 10 Uhr morgens, genau 19 Tage, nachdem mir ein Bus-Kühlergrill eine Riesengipsweißwurst beschert und mein Gewissen durch Louises Erscheinung eine Stimme bekommen hat, betritt endlich die weißbekittelte Erlösung mein Krankenzimmer.
„Gute Nachrichten, Fräulein Lehner! Ihre Blutwerte sind hervorragend! Sie dürfen aufstehen und an die frische Luft gehen. Für eine halbe Stunde!“
Dr. Wellnessressort reibt verblüfft sein Kinn. Obwohl er mich wieder „Fräulein“ genannt hat, kostete es kaum Überwindung, ihn auf seine steril riechende Babypopo-Wange zu küssen. Ungehemmt juble ich weiter, ohne auf den leichten Schwindel zu achten, der mich beim Aufsetzen befällt, schlüpfe in meine Pantoffeln und greife nach dem Morgenmantel am Wandhaken. Im Augenblick kann ich mir nichts Schöneres vorstellen, als ein sonniges Plätzchen auf einer Parkbank. Auch wenn mein Freigang sich nur auf den Klinikgarten beschränkt.
„Wollen Sie nicht etwas anziehen?! Übrigens ist Ihre Freundin auf dem Weg zu Ihnen, bewaffnet mit einem Arsenal Tupperware!“, ruft er mir hinterher.
„Sie haben ja Humor, Herr Doktor“, feixe ich über meine Schulter, mache auf halbem Weg kehrt und schnappe mir Louises Zeitung. Kimonobemantelt schwanke ich Richtung Freiheit, entschlossen, meine Schonfrist auf das Maximum an Zeit und Entfernung auszudehnen.
Da Britta seit Tagen kommt und geht, wie es ihr beliebt, halte ich es für angemessen, es mir im hintersten Eck der Gartenanlage bei den Rosenrabatten gemütlich zu machen. Nach 200 Metern Fußweg auf unebenen Granitplatten sinke ich ermattet auf die Bank vor dem Steinmäuerchen und strecke mein Gesicht der Sonne entgegen. Hoffentlich scheut mein Geist das Tageslicht.
„Diese Ruhe ...“, murmele ich und ignoriere den Schlagbohrer der Bauarbeiten straßenwärts. Viel lieber konzentriere ich mich auf das idyllische Bienengesumm in den Beeten, während ich meine Zehen im Kies vergrabe. Zum ersten Mal seit Wochen empfinde ich so etwas wie Frieden. Der zwar rosenbeduftet, aber leider nur von kurzer Dauer ist.
„Mensch Katta! Ich suche dich seit Stunden!“ Britta ist außer Atem, ein schwacher Trost dafür, dass sie nur zwanzig Minuten gebraucht hat, um mich aufzuspüren.
„Hast du einen Peilsender in meinen Morgenmantel genäht?“ Ich kneife die Lider fester zusammen. „Oder hat Doktor Wellnessressort gepetzt?“
„Doktor wer?“ Japsend fällt sie neben mir auf die Bank.
„Du sitzt auf Louises Zeitung.“
„Wessen Zeitung?!“
„In meinem Zimmer geht ein Poltergeist um.“
Britta lacht auf.
Warum glauben die Leute einem nie, wenn man ihnen die Wahrheit sagt?
„Die Ärzte sollten deinen Kopf genauer untersuchen.“ Umständlich zieht sie den Kölner Stadtboten unter ihrem Rubensgesäß hervor und fächert sich mit dem Bogen Luft zu. „Oder hast du einen Sonnenstich?“
„Louise meint, im Kulturteil fände ich Antworten. Auf was auch immer. Vielleicht findet dein geschultes Auge die Lösung, Frau Sozialpädagogin. Was hast du mir mitgebracht?“ Begehrlich schiele ich in Brittas Henkeltasche.
„Colahühnchen. Damit ich dich richtig verstehe ... und nur angenommen, ich würde deinen Wahnvorstellungen folgen: Louise von Stetten, die tote Schriftstellerin, behauptet ...?“
„Hm hm.“ Vorsichtig lupfe ich den Deckel der Tupperdose. „Colahühnchen? Wer
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