Haertetest
werde ich nie vergessen.
Aber das ist eine andere Geschichte. Also, ich konnte schweigen. Himmelherrgott, jetzt erzähl es doch endlich!
Amelie sah mich mit großen, glänzenden Augen und ihren syltfrischen rosigen Wangen an. Was hatten diese strahlenden Augen der sonst so zugeknöpften Frau zu bedeuten? Auf einmal hatte ich eine Vorahnung. Single und glücklich? Ich glaube, ich hatte sie falsch eingeschätzt. Und meine Vorahnung bestätigte sich. Innerhalb von Sekunden.
»Sophie, es ist so: Ich bin schwanger.«
Sie strahlte. Ich staunte. Dann wurde ich schlagartig neidisch.
»Es war für uns ganz überraschend, eigentlich wollten wir keine Kinder, aber jetzt freuen wir uns doch. Wir waren beim Arzt, ich bin jetzt in der zwölften Woche, das Risiko einer Fehlgeburt ist, wie du weißt, damit so gut wie überstanden, und es ist alles prima entwickelt. Leider gehöre ich aber zu einer Risikogruppe (schade, dass sie mir nicht sagte, zu welcher Risikogruppe, das wäre doch mal interessant gewesen, ich tippte auf die Risikogruppe der Über-Vierzigjährigen-Erstgebärenden), deshalb hat mir der Arzt geraten, Stress absolut zu vermeiden. Du bist jetzt seit drei Jahren bei Mütter und hast dich durch gute Arbeit, Stilsicherheit und deine Zuverlässigkeit wirklich hervorgetan.«
Ich staunte noch mehr. Wirklich? Das war mir neu. Ich konnte mich nur daran erinnern, dass Amelie mir Artikel öfter mal mit den Worten »Noch mal, aber anders!« auf den Tisch geknallt hatte. Und nun war sie schwanger. Ich bekam den Gedanken gar nicht aus dem Kopf und hatte Schwierigkeiten, ihr zuzuhören. Sie war schwanger – und ich war es nicht! Was für eine bodenlose Ungerechtigkeit!
Amelie Kalt-wie-der-Winter trug ein Baby aus, das auch noch prima entwickelt war, und was hatte ich? Ein gähnendes Loch in meiner Gebärmutter. Eizellen, die auf die Uhr schauten und gelangweilt sagten: »Also los, Mädels, es ist wieder so weit. Aber keine Aufregung, hier passiert sowieso nichts. Hier wird nicht noch mal ein Baby wohnen. Schade drum. Die totale Platzverschwendung.« Autsch, na ja, lieber nicht dran denken. Langsam dämmerte mir, dass sie ja weiter mit mir sprach, mir sogar einen richtigen kleinen Vortrag hielt.
Was war noch mal? Ach so, sie war schwanger … Und ich sollte sie vielleicht vertreten? Ach du Schreck! Die Nachricht sickerte jetzt so langsam in mein Bewusstsein, und ich konzentrierte mich wieder auf ihre Worte. »Hey, Eizellen!«, raunte ich meinem Körper zu. »Jetzt mal Ruhe, das hier ist auch wichtig!«
»Mit dem Vorstand ist abgesprochen, dass du als meine Vertretung in Frage kommst. Hör mal zu, das ist jetzt erst mal nur ein Vorschlag. Ab dem ersten Dezember könntest du mich an zwei Tagen der Woche entlasten, um dich einzuarbeiten.« Sie machte eine kurze Pause. Zwei Tage zusätzlich hieß für mich, fünf Tage die Woche. Und das war ja anscheinend noch nicht alles. Richtig: »Ab meinem Mutterschutz im März würdest du dann die stellvertretende Redaktionsleitung übernehmen, bis ich aus dem Erziehungsurlaub zurück bin. Ich würde nach einem Jahr wieder anfangen. Und für dich wäre es doch ein schöner Sprung auf der Karriereleiter! Bis jetzt hast du ja als freie Mitarbeiterin noch nicht mal einen Vertrag, wenn ich mich nicht irre. Du würdest dann also einen befristeten Festvertrag bekommen. Na – was sagst du?«
Ja, was sagte ich? Im ersten Moment nichts. Im zweiten Moment auch nicht. Im dritten Moment wurde das Schweigen etwas unangenehm. Wie kam sie denn dazu, ausgerechnet mich zu fragen? Was hieß schon Zuverlässigkeit und Stilsicherheit? Ich sah mich hier nicht als Koryphäe. Keineswegs. Meine alberne kleine Kolumne lockte auch nicht gerade viele Leser hinterm Sofa hervor. Zumindest hatte ich noch nicht besonders viel Feedback dafür bekommen. Und war nicht Eva ihr absoluter Liebling? Warum wurde nicht sie befördert? Nicht, dass ich mich nicht geehrt fühlte. Es kam nur so – überraschend!
Ich sah aus dem Fenster auf den grauen herbstlichen Hinterhof (ein schönes Büro hatte Amelie auch nicht gerade) und dachte an Maja. Wie sie sich heute Morgen an mich geklammert hatte. Wie sie lachte. Wie sie weinte.
Nicht nur wegen meines akuten Kinderwunsches stand »Vollzeit arbeiten« eigentlich nicht gerade auf der Liste der Dinge, die ich noch unbedingt tun wollte, bevor ich starb. Jetzt musste ich schnell denken. Andererseits konnte man das Schicksal eh nicht beeinflussen. Wenn ich mir eine
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