Haertetest
das?«, schnaubte er Lilly an. Anscheinend hatte er den Brief gelesen.
»Ganz einfach: Ich verlasse dich«, antwortete Lilly.
»Aber warum?« Holger schien es wirklich nicht zu begreifen.
»Das steht doch alles da drin. Ich hatte erwartet, dass du das verstehst.«
Lilly deutete ungeduldig auf das beschriebene Papier in seiner Hand.
Auf einmal drehte sich Holger zu mir um. Wütend schnauzte er mich an: » DU bist doch an allem schuld!«
Wie bitte?? Ich???? Ich sollte an irgendetwas schuld sein, das seine und Lillys bescheuerte Ehe betraf?
»Woran denn bitte?«, wollte ich wissen.
»Du hast ihr doch bestimmt gesagt, sie soll sich mit diesem Internettypen treffen!«
»Was hab ich? Spinnst du?«, fuhr ich ihn an. Und starrte dann Lilly mit großen Augen an. Woher wusste Holger vom Internettypen? Und warum wusste er, dass die beiden sich trafen? Nichts läge mir ferner, als Lilly darin zu unterstützen, ihren Mann zu betrügen. Aber direkt ausgeredet hatte ich es ihr ja auch nicht.
»Liliana Elisabeth«, sagte Holger drohend. Oha. Wollte er sie jetzt schlagen? War er einer von den Typen, die nach einer Trennung zum Stalker mutierten? Ich bekam richtig Angst vor ihm. Unauffällig schob ich mich in Richtung Messerblock. Ich fühlte mich einfach sicherer, wenn ich wusste, dass ich nur nach einem Küchenmesser zu greifen brauchte, um ihn bei Bedarf in Schach zu halten.
Aber Holger sprach weiter, und die akute Gefahr schien gebannt. Ich und meine ausschweifende Fantasie! Ich konnte wirklich nichts erleben, ohne mich am Ende als Hauptdarstellerin eines Gemetzels zu sehen, entweder als Heldin, die den Eindringling niedergerungen hatte, oder als Märtyrerin, die das Leben ihrer Freundin rettet, indem sie ihr eigenes gibt …
Das konnte aber auch alles nicht wahr sein, was heute passierte. Ich schüttelte den Kopf und damit die unhübschen Gedanken ab, in denen einer von uns blutüberströmt in der Küche lag. Holger klang eigentlich ganz normal. Also, wenn man berücksichtigte, dass seine Frau ihm einen zwanzigseitigen Brief geschrieben und ihn verlassen hatte, klang er ziemlich normal. Nämlich total wütend und aufgebracht. Und das konnte ich ihm nicht mal verübeln.
»Ich hab mir das ja alles lange angeguckt, aber das geht eindeutig zu weit. Ich habe jede E-Mail gelesen, die du diesem Henning geschickt hast, aber dass du mich deswegen verlässt?«
Fassungslos und geschockt schüttelte Holger den Kopf. Lilly schaute ebenso fassungslos und geschockt drein. Völlig verständlich.
Dann nahm er seinen Ehering ab und legte ihn auf den Tisch. Nicht dass das viel gebracht hätte, sie waren ja trotzdem noch verheiratet, aber die Geste zählte. Lilly sah ihren Noch-Ehemann erschrocken an. Also war sie wohl doch nicht so in sich ruhend, wie ich gedacht hatte. Sieh mal einer an!
»Wieso hast du die E-Mails gelesen?«, wollte sie wissen.
Aha. Wahrscheinlich hatte sie in dem Brief nichts von Henning erwähnt. Holger lachte überheblich.
»Süße, ich bin Computerspezialist, falls du es vergessen hast. Und du hast den Verlauf nicht gelöscht. Dein Passwort kenn ich sowieso. Aber dass du mich so hintergehst, hätte ich nicht gedacht. Und das Schlimmste ist, dass du mir dann so einen verlogenen Brief schreibst! Kein Wort steht da drin, dass du einen anderen kennengelernt hast! Ich will die Scheidung!«
»Pah! Nein, ICH will die Scheidung!«, rief Lilly außer sich vor Wut. »Ich lasse es mir nämlich nicht mehr länger bieten, dass du jedes Wochenende unterwegs bist und dich mit deinen Kumpels besäufst! Da mach ich einfach nicht mehr mit. Und ich habe den anderen, wie du dann ja weißt, noch nicht mal kennengelernt! Mit Henning hat das überhaupt nichts zu tun! Und wenn du nicht so ein oberdämliches Arschloch wärst und mich ewig ignorieren würdest, wäre es dazu gar nicht erst gekommen!« Lilly war echt fuchsteufelswild.
»Was ist denn hier los?«
Jonas stand an der Küchentür und schaute fassungslos auf die Szene. Schön, mein werter Herr Gemahl ließ sich auch mal wieder blicken. Dann stand wohl auch bald unsere Aussprache bevor. Mir sank das Herz in die Hose. Ich hatte einfach Angst davor. Und vor dem Satz: »Jessica und ich, wir haben …«
»Lilly und Holger lassen sich scheiden«, erklärte ich.
»Richtig!«, bestätigten beide wie aus einem Munde und demonstrierten damit eine Verbundenheit, die hier völlig fehl am Platz war. Dann funkelten sie sich böse an, obwohl es ja keiner von beiden
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