Haertetest
doch alles, oder?«
Lilly lachte. Dann wurde sie ernst. »Aber wenn ich ihn lieben würde, wäre mir sein Name doch egal, oder? Dann könnte er auch Karl Friedhelm Blasimir Tunichgut Hildebrandt heißen, und ich fände es den schönsten Namen der Welt.«
Ich prustete meinen Cocktail zurück in mein Glas. Aus meinem Angel wurde damit so was wie ein Fallen Angel.
»Blasimir Tunichgut Hildebrandt?«
Lilly sah mich an, und wir lachten, bis uns die Bäuche wehtaten. Mir stiegen Tränen in die Augen, aber ich wusste nicht, ob es vom Lachen kam oder weil mir eigentlich zum Weinen zumute war. Mir war das alles zu viel. Egal. Ich brauchte noch einen Drink.
Einen Cocktail später waren wir bereit, uns weiter in die Arme des Hamburger Nachtlebens zu stürzen.
»Komm, lass uns tanzen gehen!«, entschied Lilly. »Ich muss irgendwas machen – ich bin so kribbelig! Wahnsinn, jetzt fängt mein neues Leben an!«
»Au ja, ich weiß was!«, rief ich und bestellte am Tresen ein Taxi.
Ja, ich wusste genau das Richtige für uns.
Eine halbe Stunde später standen wir auf der Bühne einer Karaoke-Bar in der Großen Freiheit und schrien uns zu unserem Lieblingslied enthusiastisch die Lunge aus dem Hals. Das hatten wir zu Hause schon zigmal zweistimmig gesungen, wir kannten es in- und auswendig und zelebrierten unsere Performance, weil wir wussten, dass wir gut waren: Iiiiiiiii’ve haaaad the time of my Liiiiiiiiife! Jawohl, der Film Dirty Dancing hatte uns unser ganzes Leben lang begleitet.
Das ganze Publikum grölte mit. Besonderen Applaus gab es, als Lilly und ich zu dem Song ein paar Schritte tanzten. Ich war Johnny und sie Baby. Weil Lilly noch ihre alten Bravos aus den Achtzigern hatte mit den Tanzschritten – um die ich sie natürlich glühend beneidete –, hatten wir sie bei uns im Wohnzimmer üben können. Es war vielleicht anderthalb Jahre her, dass wir das letzte Mal so zusammen getanzt hatten, aber wir konnten es noch immer.
Ich stand hinter ihr, sie legte mir den Arm um den Hals, und ich musste mit meiner Hand an ihrer Seite entlangfahren. Im Film muss Jennifer Gray bei den Proben immer lachen, aber im Finale bleibt sie ernst. Klar, dass Lilly nicht ernst bleiben konnte. Wir kasperten ziemlich herum, bekamen donnernden Applaus und sangen trotz – oder gerade wegen – unseres Alkoholpegels ziemlich gut.
Nur auf die Hebefigur am Schluss verzichteten wir. Ich tat zwar kurz so, als wollte ich sie hochstemmen, alle jubelten wieder und klatschten wie wild, aber dann ließ ich es doch. Ich wollte ja nicht schuld daran sein, wenn Lilly stürzte, weil sie sich nicht halten konnte. Nach dem Song verneigten wir uns und knicksten artig und gaben unsere Mikros den Moderatoren, die uns noch einmal dankten.
»Applaus bitte für Lilly und Sophie, unsere bezaubernden Sängerinnen!«
Ich musste immer noch lachen und verlor das Gleichgewicht, als ich von der kleinen Bühne stolperte. Was war hier eigentlich los, dass es an einem Donnerstagabend in Hamburg so voll war? Nach einem genauen Blick in die Runde wurde mir einiges klar. Hauptsächlich junge Männer in Anzügen und adrette Damen in Kostümen. Ach so, es war Messe! Da benahmen sich die ganzen ansonsten so braven Familienväter und -mütter immer alle wie auf Klassenfahrt.
Mit unserem nächsten Getränk in der Hand – einem Astra – unterhielt Lilly sich auf Englisch mit zehn Japanern, die sie alle mit ihren Smartphones fotografieren wollten.
Ich hörte nur Gesprächsfetzen: »Oh, you have to try it! Really! It’s the best drink you can get in Germany!«
Das konnte nichts Gutes bedeuten. Ich wusste, was Lilly gerne trank. Und schon war sie unterwegs und kam einige Minuten später mit einem Tablett voller Jägermeister wieder.
Die Asiaten, die noch nie in Deutschland gewesen waren, nippten neugierig, und Lilly verleitete sie dazu, ihre Kurzen in einem Zug runterzukippen: »No, you must do so!« Und zack, hatte sie ihren Schnaps ge-ext.
Als die Geschäftsmänner ebenfalls alle ihre Gläser gekippt hatten, wurden sie recht blass um die Nasen, also noch blasser, als sie eh schon waren. Zwei von ihnen hielten sich die Hand vor den Mund. Von wegen, die dürfen ihr Gesicht nicht verlieren. Man sah ihnen deutlich an, dass deutscher Kräuterschnaps nicht gerade auf der Top-Ten-Liste ihrer Lieblingsgetränke zu finden sein würde, wenn sie wieder nach Hause kamen. Ich dagegen konnte gut noch zwei oder drei davon vertragen. Lilly auch.
Ein Typ kraxelte auf
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