Haertetest
nicht sonderlich überrascht. Trotzdem tat ich erst mal so, als wüsste ich von nichts.
»Willst du verreisen?«, fragte ich Lilly und deutete auf ihr Gepäck.
»Jepp. Bin aber schon angekommen«, antwortete sie.
»Okay. Krass.« Ich fragte jetzt nicht, ob sie sich von Holger getrennt hatte. Offensichtlicher ging es ja wohl kaum.
»Na, dann los.« Ich nahm zwei ihrer Koffer. »Und wie geht’s dir jetzt?«
»Och, es geht so.«
Mit einer wegwerfenden Handbewegung signalisierte sie, dass sie im Moment nicht unbedingt weiter darüber zu sprechen wünschte.
»Wir können später drüber reden.« Sie nahm ebenfalls zwei Taschen. »Wie war’s beim Schwimmen, kleiner Schatz?«
Sie beugte sich zu Maja hinunter, gab ihr einen Kuss, und Maja erzählte ihr stolz, dass sie ihr Seepferdsen geschafft hatte.
Lilly war einfach bewundernswert. Sie war völlig gefasst und schien so zufrieden.
Gemeinsam trugen wir Maja und sämtliche Koffer ins Haus und richteten Lillys Zimmer ein. Da noch kein Baby in Sicht war, konnte sie das freistehende Zimmer mindestens für die nächsten zehn Monate haben. Allerdings wusste ich nicht genau, ob ich wollte, dass sie so lange hier wohnte.
Richtig klare Regeln hatten wir ja über unser Zusammenziehen nicht aufgestellt. Wie es aussah, hatte ich jetzt genau die WG , die ich mir gewünscht hatte: Lilly, Maja und ich. Und Jonas? Ja, wer wusste schon, wo der sich wieder herumtrieb? Das Gespräch von heute Morgen schien mir lange her zu sein. In Wirklichkeit waren nur wenige Stunden vergangen, seit er mir gesagt hatte, dass er und Jessica – was auch immer.
Da wir seit Ewigkeiten nicht vernünftig miteinander gesprochen hatten, wusste er natürlich auch nichts davon, wie es Lilly ging und dass ich ihr angeboten hatte, im Falle einer Trennung vorübergehend zu uns zu ziehen. Dass er sich darüber aufregen könnte, war im Moment meine geringste Sorge.
Nach dem Abendbrot durfte Maja eine halbe Stunde fernsehen, und ich löcherte Lilly. »Was hast du denn gesagt? Wie hat er es aufgefasst? Hat er sich nicht furchtbar aufgeregt? Und wann hast du die ganzen Sachen gepackt?«
»Er weiß es wohl noch gar nicht.«
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. »Was?!«
Lilly blieb die Ruhe in Person. Wie viele Baldriantabletten hatte sie denn geschluckt? So ruhig konnte doch kein Mensch sein? Wo waren die Tränen, die verheulten Augen, die Augenringe? Sie wirkte irgendwie unnatürlich. Als würde sie unter Schock stehen oder so.
»Ich hatte keine Lust, mich mit ihm auseinanderzusetzen. Da hab ich erst mal meine Sachen gepackt und ihm einen Brief geschrieben. Ich denke, das ist das Beste so. Ich werde aber später noch mal rübergehen und mit ihm reden. Ehrlich, ich wusste einfach nicht, wie ich es ihm hätte sagen sollen. Schreiben ist so viel einfacher.«
Ja, wem sagte sie das. Ich schrieb auch lieber, als dass ich sprach. Ich simste Jonas zum Beispiel auch gerne mal, wenn er im Haus war. Das erklärte ich mir mit meiner Leidenschaft für das geschriebene Wort – und nicht damit, dass ich einfach nur zu faul war, zu ihm runterzugehen, wenn ich gerade im Schlafzimmer war und er in der Küche. Aber egal. Jetzt ging es um Lilly.
»Ich hab mich heute Morgen hingesetzt und wollte ihm schreiben, wie ich unsere Beziehung sehe. Und dann wurde das immer mehr. Zum Schluss hatte ich fast zwanzig Seiten! Da stand dann einfach alles, was mich stört, und mir wurde alles klar. Dass er sich in den drei Jahren viel weniger um mich bemüht hat als ich mich um ihn, dass er nie Rücksicht auf mich genommen hat und dass ich mit so jemandem überhaupt keine Kinder haben möchte. Mir war auf einmal klar, dass ich genau jetzt gehen muss. Er muss den Brief erst mal in Ruhe lesen, dann können wir meinetwegen noch darüber reden. Aber ich war mir noch nie so sicher wie jetzt, dass ich das Richtige tue.«
Dem hatte ich nicht viel entgegenzusetzen. Sie klang völlig überzeugt.
»Na dann … Äh, herzlichen Glückwunsch, oder was sagt man da?« Ich war ja noch nie in so einer Situation gewesen.
»Danke. Ich glaub, ich brauch jetzt was zu trinken«, seufzte Lilly. Ich wollte Wein oder Sekt aus dem Kühlschrank holen, aber der war leer. Oh, nein.
Das hieß, ich musste in den Keller. Aus guten Gründen stieg ich so selten wie möglich in unser »Gewölbe«, wie wir es nannten. Es war natürlich ein ganz normaler Reihenhauskeller. Aber in den meisten Räumen verteilten uralte Glühbirnen nur spärliches Licht,
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