Haertetest
weil sie von Spinnweben zugedeckt waren, und ich traute mich nicht mal ansatzweise in ihre Nähe. Wenn ich könnte, würde ich mir den Sekt mit einem langen Kescher von der obersten Treppenstufe aus dem Regal holen, aber so etwas besaßen wir leider nicht.
Also musste ich schauen, was wir noch oben in den Schränken hatten. Ernsthaft, ich ging nicht mal für Alkohol in den Keller. Zum Glück kam morgen früh um neun endlich eine Bewerberin für unsere Putzfrauenstelle. Nicole vom Empfang kannte jemanden, die jemanden kannte, die einen Bruder hatte, und so weiter, und dessen Frau konnte diese Dame empfehlen. Sie hieß Frau Hörrförr oder so. Ich hatte den Namen nicht verstanden, aber natürlich trotzdem sofort den schnellstmöglichen Termin vereinbart. Meinetwegen durfte sie auch sofort zu putzen anfangen.
Beflügelt bei dem Gedanken daran, bald in einem sauberen und ordentlichen Haus zu leben, in dem ich jederzeit ohne Panikattacken in den Keller gehen konnte, durchstöberte ich den Küchenschrank. Allerlei Backutensilien purzelten mir entgegen. »Huch!«, rief ich und versuchte den Kleinkram aufzufangen. »Rumaroma?«, fragte ich Lilly und zeigte ihr fröhlich die vier kleinen Fläschchen.
Sie verdrehte nur die Augen. Oh, die waren seit Monaten abgelaufen. Wahrscheinlich hatte ich damit mal vor Jahren irgendwas backen wollen, um eine »gute Hausfrau« zu sein, aber irgendwie hatte ich nie damit angefangen. Mit dem Backen und mit dem Hausfrausein.
Tatsächlich fand sich noch eine halb volle Flasche Amaretto im Schrank, die ich benutzte, um an Weihnachten mein leckeres Tiramisu zuzubereiten. Das war nämlich das Einzige, was ich konnte: Tiramisu. Außerdem konnte ich noch Spaghetti mit Tomatensoße, Spaghetti mit Spinat, Spaghetti mit gar nichts, Spaghetti mit Parmesan und Spaghetti mit Pesto. Da konnte nun keiner sagen, ich wäre nicht vielseitig.
Ich stellte den Amaretto auf den Tisch, von dem nur genau zwei Esslöffel fehlten, dazu zwei große Gläser, und schenkte ordentlich ein. Wir tranken auf Lillys Trennung, auf Majas Seepferdchen und auf meine ungewisse Zukunft.
Zwischendurch brachte ich Maja ins Bett, und sie tat mir den Gefallen, völlig problemlos einzuschlafen. Glücklich lächelnd lag sie mit ihrem Leo im Arm unter ihrer Decke, und ich vergaß einen kurzen Moment die Zeit, als ich sie ansah.
Lilly trank inzwischen ihr viertes Glas, hatte das Küchenradio laut aufgedreht, und ihre Wangen leuchteten hochrot.
»Auf meine Scheidung!«, rief sie und hüpfte zu einem Chart-Song durch die Küche.
Hilfe, nicht dass sie mir das Geschirr von der Arbeitsfläche warf! Ich war nicht ganz auf ihrem Party-Pegel, das konnte mir aber wohl niemand verdenken. Heute Morgen hatte ich hier mit Jonas gesessen und ein ernstes Gespräch geführt, dann war ich beim Zahnarzt von einer Hornisse attackiert worden, zwischendurch musste ich zur Arbeit, weil meine Chefin mit Blutungen im Krankenhaus lag, danach mit meinem Kind zum Seepferdchen – und jetzt hüpfte Lilly wie ein Irrwisch mit wilden Locken durch die Gegend, trank meinen Weihnachtstiramisu-Amaretto und feierte ihre Trennung. Komisches Leben.
Bevor ich mich entscheiden konnte, ob mir jetzt der Sinn danach stand, mich ebenfalls volllaufen zu lassen oder lieber vernünftig zu bleiben, klingelte es an der Tür. Hatte Jonas nach seinem Handy auch noch seinen Schlüssel verloren?
Skeptisch öffnete ich die Haustür, wo mir eine Bö ins Gesicht schlug. Ich schloss kurz die Augen, bevor ich erst erkennen konnte, wer da vor mir stand. Es war Lillys Ehemann.
»Oh, hallo«, sagte ich. Holger starrte mich feindselig an. Es war schon von jeher nicht so, dass wir das beste Verhältnis hatten. Er warf mir immer vor, ich würde Lilly verderben. Sie würde nur in meiner Gesellschaft rauchen und Alkohol trinken. Da kannte er sie wirklich schlecht. Sie hatte nun mal sonst niemanden, der mit ihr feierte, und ich auch nicht, also halfen wir uns da gegenseitig aus der Patsche. Außerdem waren wir auch weit darüber hinaus befreundet und seelenverwandt, aber das verstand er natürlich nicht. Ich meine, mal ehrlich, er macht was mit Computern!
Wortlos schob er mich zur Seite, in der Hand einen mehrseitigen Brief. Tropfen liefen über sein Gesicht. Dabei regnete es doch gar nicht. Hatte er etwa geheult? Nee, dazu war er ja viel zu cool. Typen wie Holger heulten nicht. Das hätte ja bedeutet, dass er Gefühle hatte.
»Klar, komm rein!«, rief ich ihm hinterher.
»Was soll
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