Haertetest
die Bühne, und ich sah etwas genauer hin. So schlecht sah der nicht aus. Und er sang … Moment, den Anfang kannte ich. Aaaah! Es war »Ich möchte ein Eisbär sein.« So ein Quatsch! Wie kam man dazu, in einer Karaoke-Bar dieses völlig monotone Lied zu singen? Er machte es dann auch ganz furchtbar schlecht, verpasste ständig seinen Einsatz und verhaspelte den Text, lachte sich kaputt und sah ganz entzückend und süß dabei aus.
Wahrscheinlich war auch der Alkohol schuld, dass er anfing, im hinteren Bereich des Podestes sein Bein um eine Stripteasestange zu schlingen, sich nach hinten zu beugen und sein Knie vorgeblich sexy bis auf Hüfthöhe daran hochgleiten zu lassen.
Sehr beweglich war er ja schon mal. Wie er es schaffte, dabei keinen absolut lächerlichen Eindruck zu machen, wunderte mich. Er wirkte einfach irgendwie lustig. Oder ich war schon so voll, dass nur ich es witzig fand. In mir hatte er nun wirklich ein dankbares Publikum gefunden. Ich stand grinsend vor der Bühne und konnte mich über sein Gehampel sehr freuen.
Kurz fiel sein Blick auf mich, ich lachte ihn an und applaudierte ihm. Er lachte zurück, tanzte jetzt eng umschlungen mit der Stange, sah mich an, dann musste er sich aber wieder auf seinen Text konzentrieren. Er jaulte völlig schief ins Mikro: »Eisbär’n müssen nie weinen.«
Ich konnte fast nicht mehr vor Lachen, sah dann aber lieber weg, bevor er auf die Idee kam, ich würde ihn allzu toll finden. Pff, nur weil er hübsch und lustig war, hieß das noch lange nicht, dass ich ihn gleich gut finden musste. Ach ja, und außerdem war ich ja verheiratet.
Nach seinem Song erntete er außer von seinen Freunden nur mäßigen Applaus, und auch ich wollte mich nicht völlig zu seinem Groupie machen, indem ich ihm aus der ersten Reihe zujubelte. Also klatschte ich nur dezent und sah dabei demonstrativ von ihm weg. Er stieg wieder von dem Bühnenpodest, das sofort von einer Horde Tussis gestürmt wurde, die etwas von Robbie Williams singen wollten und sich kaputt kicherten.
Der Eisbärtyp gesellte sich zurück zu seinen drei Kumpels. Die waren auch etwa in unserem Alter und machten so auf die Ferne einen sympathischen Eindruck. Alle lachten, klopften ihm auf die Schultern und hoben ihre Biergläser. Ich beobachtete die Szene aus dem Spiegel an der gegenüberliegenden Wand und hoffte, dass er nicht auf die Idee käme, dort hinzusehen. Lilly schwenkte zu dem Karaokelied der Mädelsbande die Arme durch die Luft und schwankte dabei ganz schön hin und her. Aber sie sah sehr zufrieden aus – um sie musste ich mir im Moment wirklich keine Sorgen machen.
Der Eisbär sagte jetzt etwas zu seinen Freunden, und alle sahen auf einmal zu uns rüber. Sehr unauffällig, Jungs!
Ich zupfte Lilly am Ärmel, den sie dann auch prompt sinken ließ. »Guck da jetzt bitte nicht rüber!«, brüllte ich. »Die Jungs reden über uns!«
Natürlich schrie sie: » WO soll ich nicht hinsehen?« und drehte ihren Kopf, wie nur ein Gottlieb Wendehals es konnte.
Die Jungs schauten jetzt immer noch zu uns, Lilly erkannte, wen ich meinte, sie grinste, winkte, und ich schloss die Augen. Danke, Lilly, ganz toll gemacht. Was sollten die denn jetzt denken? Klar waren die alle irgendwie niedlich, aber das mussten sie ja nicht wissen.
In dem Moment tippte mir jemand auf die Schulter, und ich drehte aus Reflex meinen Kopf.
Der Eisbär-Sänger und ein Kumpel standen vor uns.
»Hi, äh, Entschuldigung, die Damen … Ihr seid uns positiv aufgefallen.« Er wirkte richtig verlegen, wie niedlich! »Und wir wollten fragen, ob wir vielleicht alle zusammen noch ins Thomas Read wollen? Bisschen tanzen?«
Uns war eigentlich ziemlich klar, was er mit bisschen tanzen meinte. Wir sahen uns an. Aber vielleicht wollte er ja auch wirklich nur ein bisschen mit uns tanzen. Es gab ja manchmal auch Männer, die wirklich nicht immer nur »das eine« wollten.
Lilly nickte schon begeistert, ich zögerte, schließlich waren wir verheiratet. Aber mein Widerstand sank merklich, als ich in die stahlblauen Augen des Eisbärtypen blickte. Oje, war der süß.
Schnell ließ ich mich überzeugen, dass das wirklich eine »prima und grandiose Idee war«, wie Lilly sagte, und schon waren wir zu sechst unterwegs zum Nobistor und im Irish Pub Thomas Read verschwunden.
Der Typ, der uns angesprochen hatte, hieß Tim, seine Freunde waren Björn, Matze und Alex.
Alle waren nett und arbeiteten in normalen Berufen, und keiner von
Weitere Kostenlose Bücher