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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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offenbar gute Kontakte zu den Franzosen. Er sei sicher, daß die republikanischen Armeen in den nächsten Monaten weiter vorstoßen würden, nachdem die Preußen die Koalition verlassen hätten und nun das arme Polen unterjochten. Die Maas-Sambre-Armee unter Jourdan werde kaum aufzuhalten sein. Dann, junger Freund, wenn ich meinem eigenen Land nützen kann, werde ich mich den Republikanern verpflichten.
    Jung hatte den »Ossian« aus dem Englischen übersetzt. In seiner Wohnung las er Hölderlin weite Partien daraus vor.
    Von Sinclair erfuhr ich, Sie stünden bei Cotta unter Kontrakt?
    Ohne ihn erfüllt zu haben.
    Man wartet auf Ihre Erzählung, den »Hyperion«.
    Ich muß erst in Frankfurt Fuß fassen.
    Das versteh ich. Die Poesie ist empfindlich. Doch könnten Sie bei Cotta nicht für meinen »Ossian« sprechen?
    Mein Wort wird ihm nicht viel gelten.
    Jungs Listigkeit ernüchterte ihn. Dennoch sicherte er ihm zu, sich für ihn zu verwenden, denn die Übersetzung hatte ihn beeindruckt, auch die Besessenheit, mit der Jung sich ihr widmete.
    Beim Abschied versicherte er Sinclair, bald wiederzukehren.
    Oder wenn du bekümmert bist, Hölder.
    Ich hoffe es nicht.
    Es ist kein weiter Weg hierher.
    Am 10. Januar tritt er seine Stelle an, einige Tage danach zieht er aus dem Gasthaus in sein Zimmer im Weißen Hirsch. (Das abstrahiert sich als ein Datum in einem durch nachgeprüfte, abgesicherte Daten markierten Lebensweg. Hat ihm am Tag zuvor ein Diener die Botschaft gebracht? War er dann angespannt? Ist er abends am Weißen Hirschen vorbeigegangen? Haben ihn die wenigen, doch starken Eindrücke, die er von seinem Antrittsbesuch hatte, geängstigt? Überkamen ihn plötzlich Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war, nach Frankfurt zu gehen und nicht doch der Mutter zu folgen, in Neckarhausen oder sonstwo eine Pfarre zu übernehmen? War er wankelmütig? Über solche Stimmungen hat er nie der Mutter oder dem Bruder geschrieben. Er hätte ihr Mißtrauen gegen dieses Wanderdasein bestätigt, sie aber auch in Sorge versetzt. Daß er sich zu Beginn fremd fühlte, spricht er Neuffer gegenüber, die Stimmung verallgemeinernd, aus: »… auch jetzt noch wirst Du die Folgen des Umherirrens, des unsteten, geteilten Interesses, das einem so eine Lage unwillkürlich gibt, an mir finden. Ich weiß wohl, daß es einmal Zeit wäre, mich weniger durch Neuheit beunruhigen zu lassen; aber ich mußte wieder finden, daß, bei aller Vorsicht, das Unbekannte für mich sehr leicht mehr wird, als es wirklich für mich sein kann, daß ich bei jeder Bekanntschaft von irgendeiner Täuschung ausgehe, daß ich die Menschen nie verstehen lerne, ohne einige goldne kindische Ahndungen aufzuopfern.«)
    »… daß ich bei jeder Bekanntschaft von irgendeiner Täuschung ausgehe«: Er ist seit fünf Tagen im Haus, zu den Kindern hat er ungewöhnlich leicht Zugang gefunden, Henry läßt ihn kaum mehr aus den Augen, ist lern- und wißbegierig, entzückt ihn durch seine arglose Anschmiegsamkeit; Madame Gontard verfolgt die ersten Schritte aufmerksam, nimmt an den Stunden teil, erklärt manchmal, was Henry schon wisse, wie weit er bei den Lateinern und in der Geschichtskunde sei; ihre Schönheit und verschleierte Sanftmut verwirren Hölderlin ebenso wie ihr Gesellschaftston, der ungezwungene Umgang mit Gästen des Hauses. Ihm ist keine Frau begegnet, von deren Reinheit und Naivität er so überzeugt gewesen wäre. Wieso aber beherrscht sie dann so elegant die Gesellschaft, weshalb läßt sie sich sichtlich vergnügt auf diesen Betrieb ein, schmückt sich für die anderen, schmeichelt ihrem Mann? Täuscht er sich doch? Bildet er sich ein Wesen ein, das es – wieder – gar nicht gibt?
    Er zweifelt nicht lang. Madame Gontards Anwesenheit prägt den Tag. Es ist anders als in Waltershausen. Ständig ist das Haus belebt, Gontard lädt Geschäftsfreunde ein, Susette empfängt Freundinnen, selbst die Kinder bekommen Besuch von der Großmutter, von Tanten – dabei wird ihm zwar immer wieder bewußt, daß er ein gehobener Domestik und von vielem ausgeschlossen ist, aber Susette bezieht ihn ein, wenn es ihr schicklich scheint, außerdem freut ihn der unbeschwerte Umgang mit Marie Rätzer, die ihn, gebildet und neugierig, in literarische Debatten verwickelt, über die Gepflogenheiten im Hause aufklärt, mitunter recht kritische Anmerkungen über Gäste macht und ihn vor Susettes Haushälterin Wilhelmine warnt: sie sei intrigant und versuche mit jedem Hofmeister

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