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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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anzubändeln.
    Es war abgemacht, daß er Henry und gelegentlich auch Jette vormittags unterrichte. Der Nachmittag stand ihm zur Verfügung. An den Mahlzeiten nahmen er und Marie, wenn Gontard keine Gäste hatte, teil. Gontard führtedas Gespräch, war er übelgelaunt, lastete über der Tafel ein Schweigen, das zu brechen nur Henry ein Vorrecht hatte. An den anschaulichen, drolligen Erzählungen des Buben freuten sich alle, und sie gaben Susette Gelegenheit, dieses und jenes Ereignis zu kommentieren. Am Anfang hatte Gontard den neuen Hofmeister manchmal ins Gespräch gezogen, sich verbindlich nach seinem Aufenthalt in Jena erkundigt, ob er Goethe begegnet sei, man habe mit der Familie über die Schönemanns Verbindung, ob Fichte tatsächlich derart beeindrucke? Herder kenne er. Auf Hölderlins Poesie ging er nie ein. Wenig später, als man sich an den Hofmeister gewöhnt hatte, überging Gontard ihn ebenso wie Marie Rätzer. Sie saßen schweigend, hörten zu.
    Nachmittags hielt Hölderlin sich meist in seinem Zimmer auf, das behaglich eingerichtet war, ihn nicht beengte. Es fiel ihm leicht, am »Hyperion« zu arbeiten, er wurde nicht ständig durch Anforderungen von außen abgelenkt. Der Text weitete, veränderte sich. Es störte ihn nicht, wenn Henry neben ihm spielte, Figuren aus Papier ausschnitt oder kindliche Landschaften malte, immer Gärten mit Kastanienbäumen und Pappeln.
    Manchmal merkte er, daß Henry ihn beim Schreiben anschaute, gern etwas gefragt hätte – er gewöhnte sich an die Anwesenheit des Buben, sie wurde ihm lieb.
    Susette und Marie musizierten viel. Beide spielten gut Klavier. Sie fragten ihn, ob er ein Instrument beherrsche. Er hatte die Flöte in Nürtingen gelassen.
    Musik ist für mich mehr als eine Wohltat, sagte er. Ich höre Musik, wenn ich schreibe. Beim gemeinsamen Musizieren böte sich eine Gelegenheit, unverfänglich mit den Damen zusammenzusein, und die Zeit verginge noch angenehmer. Er hatte keine Schmerzen mehr, war überzeugt, sie würden so bald nicht wiederkehren. Ein solches Wohlbefinden könnte von Dauer sein. »Es war auch Zeit, daß ich mich wieder etwas verjüngte; ich wäre in der Hälfte meiner Tage zum alten Manne geworden. Mein Wesen hat nun wenigstens ein paar überflüssige Pfunde an Schwere verloren und regt sich freier und schneller, wie ich meine«, schreibt er Karl, den er zu sich nach Frankfurt wünscht, nicht nur, damit der Bruder sich von seiner Wandlung überzeuge, sondern um ihm, der den Sprung aus seiner erbärmlichen Tätigkeit nicht geschafft hat, Zuversicht einzuflößen, ihn vielleicht mit Menschen zusammenzubringen, die ihm weiterhelfen könnten. »Hat Schiller noch nichts an mich geschickt?« fragt er; Schiller schweigt. In einer anderen, weniger begünstigten Lage wäre er niedergeschlagen gewesen, hätte nicht schreiben können. So verwand er den Affront. »Sei doch so gut, mir meine Flöte, sicher gepackt, zu schicken.« Immer stärker wünscht er sich, in Susettes Nähe sich aufzuhalten, findet Vorwände, bedient sich Maries und Henrys: Sag deiner Mama, ich wollte mit ihr dein neues Pensum besprechen. – Sollten wir heute nachmittag nicht ein bißchen musizieren, Demoiselle Rätzer? Vielleicht hat auch Madame Gontard Zeit. Stets sind die Kinder Zuhörer. Nichts macht Geist und Seele so geschmeidig wie Musik. Es ist ihm damit Ernst. Aber die Kinder, die enthusiastisch Konzert spielen, sich Stühle zusammenrücken und dann, wenigstens für eine Zeit, still, die Hände im Schoß, als Publikum posieren, die Kinder sind auch ein Schutz gegen Neugier und Verdächtigungen aus dem Hause. Der Hofmeister Hölderlin und die Damen.
    Marie entging Hölderlins Zuneigung zu Susette nicht.Und sie merkte eher als er, daß sie von Susette erwidert wurde. Wenn auch versteckt, hinter den Attitüden der interessierten Hausherrin, der Liebhaberin von Poesie und Musik. Es ist denkbar, daß Marie eifersüchtig war, sich bemühte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, daß sie ihren Vorteil, nicht verboten lieben zu müssen, ausnützen wollte. Hölderlin fiel das nicht auf. Er brauchte sie als Mittlerin zu Susette. Er mochte Marie, ihre Behutsamkeit, Diskretion, und er bezog sie später auch als Mitwisser ein. Das fiel ihr schwer, kränkte sie, denn sie war mindestens ebenso schön wie Susette, freilich nicht ätherisch, sondern von einer weichen, herausfordernden Sinnlichkeit. »Die blühende Schweizerin« nannte Heinse sie, sie »braucht sich nur zu zeigen, um zu

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