Härtling, Peter
Hirsch«, so heiße der Wohnsitz der Gontards, gehöre nicht Jakob Friedrich Gontard, dem »Kobus«, dem er dienen werde, sondern dessen Onkel Heinrich Gontard-du Bosc. Dies sei das Ergebnis einer Erbteilung. Jakobs Vaterwohne im Stammhaus der Gontards, in dem großen Kaufhaus an der Neuen Kräme, dem Ursprung des Familienwohlstands. Jakob selbst habe es vorgezogen, in dem weitläufigen Anwesen des Weißen Hirsch für sich und die seinen eine Wohnung zu nehmen.
Das ist zuviel auf einmal, Ebel.
Du solltest es auswendig lernen, die Familie legt Wert auf solche Formalien.
Schon wird es kühl. Ebel spürt, wie Hölderlin sich zurückzieht, beginnt zu bagatellisieren: Das geht im Nu, Friedrich. Jakob heißt der Herr, gerufen wird er von den Freunden Kobus. Susette ist der Name der Dame, deren Liebreiz, ich bin sicher, dich erobern wird. Deinen Zögling Henry kennst du bereits. Er ist ein warmherziger, aufgeschlossener Bub. An ihm wirst du dich freuen. Die kleinen Mädchen sollten dich nicht kümmern, um sie sorgt sich Demoiselle Rätzer. An Schönheit mangelt es diesem Hause nicht. Außerdem wirst du noch häufig Johanna Margarethe Gontard begegnen, genannt Gredel, die zwar bei den Eltern in der Neuen Kräme zu Hause ist, doch sehr an ihrem Bruder Kobus hängt. Und ihretwegen, Ebel versuchte seine Verlegenheit nicht zu vertuschen, halte ich Verbindung zu den Gontards. Die Gredel hab ich gern. Das Ebenmaß ihres Gesichtes haben zwar die Blattern schon in der Kindheit verdorben. Aber die schöne Seele ließen sie unversehrt. Ich hätte sie auch zur Frau genommen.
Und weshalb nicht?
Weil ich, schlicht gesagt, den Gontards von zu geringer Herkunft bin, mein Lieber. Daß ich im Hause verkehre, sie unterhalte, ist mir gestattet.
Ebels Ironie tat ihm weh. Sei nicht ganz pünktlich, aber fast, hatte ihm Ebel geraten.
Deshalb hat er erst einmal nach dem Weißen Hirsch gefragt, sich das große Haus, das durchaus ein Palast war, angesehen und war erst dann durch die Stadt spaziert. Dennoch stand er zu früh vor dem Portal. Die Uhr der Katharinenkirche hatte noch nicht vier geschlagen. Er beschloß fünfmal den Großen Hirschgraben auf und ab zu gehen. Das tat er, dann schlug er den schweren, schön gehämmerten Klopfer gegen die Tür.
Ein Lakai in prächtiger Livree öffnete, ging ihm, nachdem er seinen Namen gesagt hatte, durch eine weite, überaus nobel ausgestattete Halle die breite Treppe zum ersten Stockwerk voraus. Der Prunk schüchterte ihn ein. Waltershausen war dagegen schlicht, geradezu bäurisch gewesen. Hier spiegelte sich der Glanz, brach sich das Licht vielfach im Glas, betonte selbst der kleinste Gegenstand seine Kostbarkeit.
Er wurde in der Tat von allen erwartet, die ihm Ebel erzählend vorgestellt hatte. In einem kleinen Saal oder großen Salon, der nicht so aufwendig eingerichtet war wie die Eingangshalle und in dem ihm gleich ein Klavier auffiel, standen und saßen mehrere Personen, unterhielten sich, lasen, drei Kinder bauten miteinander auf dem Teppich einen Turm aus bemalten Holzklötzen. Für einen Moment stand er, von dem Lakai allein gelassen, in der Tür, dann kam ein großer, etwas fülliger, dunkel gekleideter Herr auf ihn zu: Jakob Gontard. Magister Hölderlin. Er verbeugte sich. Gontard gab ihm die Hand. Hölderlin schaute in ein etwas grob geschnittenes Gesicht, das ganz von den Augen beherrscht wurde: Augen, die nichts anderes konnten, als prüfen, ob Dinge, ob Menschen, Augen, die abschätzten. Er fragte sich, welchenWert er für Herrn Gontard habe. Kommen Sie, meine Frau und Henry erwarten Sie mit einiger Ungeduld. Doktor Ebel hat nur Freundliches über Sie berichtet.
Susette Gontards Anblick muß ihn getroffen haben, denn wenige Tage danach schreibt er von ihrer »ewigen Schönheit«. Sie war schön. Die Büsten, das Relief, die der Bildhauer Landolin Ohnmacht von ihr anfertigte und die ihr Bild überliefern, geben ein offenes, wunderbares Gesicht wieder. Es hat den Anschein, als erinnere sich der Stein noch an die Haut, eine Tizianhaut, die der Schriftsteller Heinse rühmte. Ihr Haar ist kastanienbraun, rötlich. Susette ist feingliedrig, aber sie neigt ein wenig zur Fülle. Seit zehn Jahren ist sie mit Jakob Gontard verheiratet. Sie hat vier Kinder zur Welt gebracht. Als sie sich zum ersten Mal sehen, ist sie siebenundzwanzig Jahre alt, ein Jahr älter als Hölderlin. Sie trägt ein weißes Kleid mit lila Besatz. Er wird es nicht vergessen. So möchte er sie immer sehen. Noch dem aus
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