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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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erzählte er Susette, doch nicht richtig, und Herr Schelling hat gesagt: Es geht mir um mein Leben! Und sie haben furchtbar Schwäbisch gesprochen.
    Schelling gab wieder, was Hegel ihm aufgetragen, worüber er sich mit ihm auseinandergesetzt hatte.
    Du woisch doch, das isch dem Hegel sei Vorstellung von d’r sinnlichen Religion. Grad weil er so knochetrocke isch, moint er des. Des isch ja au richtig.
    Des trifft aber erscht zu, wenn von d’r Mythologie d’ Red isch, sonsch bleibt’s e platter Spruch –
    Des hem’r au g’sehe. Und weil die Ethik – so wie mer se ons denket, – guck, des han i scho g’schriebe: »Diese Ethik wird nichts andres als ein vollständiges System aller Ideen, oder, was dasselbe ist, aller praktischen Postulate sein«, weil eben die Ethik als System genommen wird, in dem der Mensch, das absolut freie Wesen, die Mitte ist, wendet sich auch die allgemeine Ansicht von der Mythologie.
    Das ist klar. Die Mythologie, unsere Mythologie, muß der Idee unterstellt sein, muß ihr dienen.
    So ist es, Hölder, das nimmt ihr das Vorväterg’rüchle, die Ungenauigkeit. Die Schwafler werden keine Freude mehr haben an solch einer Mythologie.
    Hölderlin stand auf, preßte die Hände gegeneinander, sah zum Fenster hinaus, stellte sich hinter Schelling, der am Tisch saß, die Feder in der Hand, wartete: Das heißt aber, Schelling, daß wir die Prinzipien einer Geschichte der Menschheit entwickeln müßten, daß wir das elende Menschenwerk wie Staat, Verfassung, Regierung, Gesetzgebung durchschauen und auf die Idee einer moralischen Welt kommen müßten, auf die absolute Freiheit der Geister, daß wir weder Gott noch Unsterblichkeit außerhalb uns selbst suchen dürften.
    Das wird dem Hegel nicht ganz passen.
    Macht nichts. Laß mich weiterdenken. Da geht es ja um Ästhetik. Wenn der Mensch vernünftig ist, dann ist das höchste Streben seiner Vernunft, Wahrheit und Güte in der Schönheit zu verschwistern. Nur so läßt er alle Tabellenesel und Registeraffen hinter sich. Nur so kommt er über die Buchstabenphilosophie hinweg. Ich kann Geschichte nicht denken und verstehen ohne ästhetischen Sinn. Und das, Schelling, setzt die Poesie wieder in ihren Rang, den sie verloren hat: Lehrerin der Menschheit zu sein.
    Und Philosophie?
    Die geht in der Poesie auf.
    Oder die Poesie wird philosophisch.
    Das ist sie immer schon gewesen, sagte Hölderlin.
    Du übertreibst.
    Ich übertreibe der Poesie zuliebe.
    Jetzt kann der Hegel auch wieder zufrieden sein, Hölder. Denn die Mythologie kann man mit deinen Gedanken definieren. Gesetzt, der Mensch in seiner absoluten Freiheit und unter deinem ästhetischen Reglement will Geschichte begreifen, so kann er sich nicht mehr mit der von den Dogmatikern ruinierten Mythologie abgeben, er braucht eine neue, eine vernünftige, eine Mythologie der Vernunft. Da findet sich dann Aufgeklärtes und Unaufgeklärtes in einer Vorstellung, paß auf, das schreib ich gleich: »Die Mythologie muß philosophisch werden um das Volk vernünftig, und die Philosophie muß mythologisch werden, um die Philosophen sinnlich zu machen.«
    Gut, des heißt: Ästhetische Anschaulichkeit ist eine Handlung der Vernunft.
    Und dann erst, Hölder – Schelling sah zu ihm hoch und nahm seine Hand –, dann erst herrscht Einheit, dann erst kann sich jeder einzelne gleich ausbilden, dann erst wird keine Kraft mehr unterdrückt, dann erst herrscht allgemeine Freiheit und Gleichheit der Geister. Das ist die neue Religion. Und sie ist das Werk vom vernünftigen Menschen.
    Ist das nicht zu hoch gegriffen? Hast du keinen Zweifel?
    Und hätte ich Zweifel, Hölder, die bessere Zukunft kannst du mit Zweifeln nicht bereiten.
    Gut, na schreibsch des zum Schluß.
    Er setzt sich wieder. Henry muß niesen, unterdrückt es.
    Du bist da? Ist es dir nicht langweilig gewesen?
    Nein. Der Junge schüttelt heftig den Kopf.
    Schelling lacht. Jetzt haben wir dem Buben seine Zukunft philosophiert.
    O nein, nicht einmal die seiner Urenkel, Schelling.
    Kannst du deine Melancholie nicht lassen?
    Weißt du was, Henry, jetzt gehen wir, dich zu entschädigen, zu dritt in den Garten, und du zeigst Herrn Schelling die Blumen, die du selbst gesetzt hast.

    Es war üblich, daß die vermögenden Familien im Sommer die Stadt verließen und Landhäuser außerhalb Frankfurts bezogen. 1796 hatte Gontard ein Haus auf der Pfingstweid, im Osten der Stadt, gemietet, die Jahre darauf den Adlerflychtschen Hof. Sie bereiteten sich tagelang auf den

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