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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Gedichte geschrieben; es ging verloren; und ein zweites, als er als Dreiunddreißigjähriger von diesem rätselhaften Aufenthalt in Bordeaux nach Nürtingen zurückgekehrt war: »Da nämlich ist Ulrich gegangen.« Dorthin bin ich, in meiner Kindheit, einige Male gewandert, habe vor dem Eingang der Felsspalte gesessen und geträumt, nicht Hölderlins wegen, sondern wegen des Pfeifers von Hardt, meiner Lieblingsgestalt aus Hauffs »Lichtenstein«:
    »Die Nacht, welche diesem entscheidenden Tage folgte, brachte Herzog Ulerich und seine Begleiter einer engen Waldschlucht zu, die durch Felsen und Gesträuch einen sicheren Versteck gewährte und noch heute bei dem Landvolk die Ulerichs Höhle genannt wird. Es war der Pfeifer von Hardt, der ihnen auf ihrer Flucht als ein Retter in der Noth erschienen war und sie in diese Schlucht führte, die nur den Bauern und Hirten der Gegend bekannt war.«
    Damals habe ich noch nicht gewußt, daß er sich hier öfter aufhielt, jetzt könnte ich, damit ein Stück Wahrheit erhalten bleibe, Karl Gok oder Gustav Schwab zitieren. Ich lasse ihn mit Karl, dem Halbbruder, über den Galgenberg wandern, durch den Wald, und sehe die beiden, wie sie einen Bach überqueren, über Steine springen, es sei ein Tag im Mai gewesen, er war vierzehn und der Bruder noch nicht ganz acht. Sie finden die Ulrichs-Höhle, den »Winkel«, kriechen herum, Fritz erzählt vom Pfeifer, dieser Inkarnation der Treue. Sie sind müd vom Weg; Fritz zieht ein Bändchen aus der Tasche, Klopstocks »Hermanns Schlacht«, und deklamiert. Mit offenem Mund lauscht der kleine Bruder. Er versteht so gut wie nichts, und Fritz will es ihm auch nicht erklären. So sind dieWörter einfach nur schön und fremd, ein Glück für den großen Bruder, der sie alle schon kennt.
    Komm, mir müsset hoim; sonscht wird’s Nacht.
    In den Köpfen beider brummen die gewaltigen Sätze. Er ist auf den Abschied vorbereitet; im Oktober wird er nach Denkendorf gehen. Es liegt zwar nur zwei Wanderstunden von Nürtingen entfernt; doch schon weit fort.

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    II
    Die erste Geschichte
    Manchmal war er ohne Grund den Tränen nah. Ein allgemeiner Schmerz ergriff ihn, und er konnte sich nicht erklären, woher er so unvermutet kam. Dann wollte er sich zurückziehen, was ihm aber nur selten gelang, denn er hatte zu lernen oder der Mutter zu helfen. Er schützte sich durch eine Art Erstarrung, eine Abwesenheit, die ihm als Unwillen ausgelegt wurde. Am liebsten war es ihm in diesem Zustand, allein am Fenster seines Zimmers zu sitzen, auf die Neckarsteige zu schauen und all die Bewegungen da unten wahrzunehmen, wie aus einer übergroßen Entfernung. Er fürchtete sich vor dem eigentümlichen und nicht erklärbaren Leiden.
    Komm, hatte sie gesagt, komm, Fritz, und ihn in den Garten hinterm Haus gezogen, dort hatten sie sich unter Büschen zusammengehockt und, so schien es ihm, auf etwas gewartet.
    Sie hatte ihn eingefangen. Er kannte sie schon lange, nur vom Sehen; wenn er zur Schule ging, oder an den wenigen freien Nachmittagen, war sie aufgetaucht, meist mitanderen Mädchen, ihr Gesicht hinter der Hand verbergend; sie war ihm aufgefallen; sie war dreizehn, gleich alt wie er, die Tochter des Hofbeamten Breunlin, Suse gerufen, und sie gefiel ihm, weil sie herausfordernder, auch freier wirkte als ihre Spielgefährtinnen.
    Ein paarmal war sie zu ihnen ins Haus gekommen, hatte Wein für ihren Vater geholt (aus Goks alten Beständen). Das ist Breunlins Suse, hatte irgend jemand eher mißbilligend bemerkt.
    Er hatte keine Zeit, sich für Mädchen zu interessieren wie die Bauernbuben; es war nicht angebracht. Die Mutter und der Diakon wären über solchen Umgang sicher verärgert gewesen. Doch manche Schulfreunde redeten über ihre angeblichen Erfahrungen mit Mädchen, machten Geheimnisse daraus, und alle Andeutungen waren so, daß sie ihn beschämten und verwirrten. Namen wurden genannt von besonders Willfährigen oder Frechen oder Lüsternen.
    Von denen träumte er undeutlich, denn die meisten kannte er. Mit niemandem wagte er darüber zu reden. Wenn Kraz die Sinnenlust geißelte, nickte er eifrig und nahm sich vor, noch strenger gegen die unguten und sich wie von selbst einstellenden Gedanken zu sein.
    Die Grete.
    Das Dorle.
    Die Rike. Nicht seine Rike, sondern die Rike vom Neckartor.
    Von der Suse wurde jedoch nie geredet, sie schien nicht zu denen gerechnet zu werden, und er war darüber merkwürdig zufrieden.
    Wenn er im Grasgarten lag, die Rike und den Karl

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