Härtling, Peter
sie wird es ihm zuliebe aufgeben.
Sie läßt es nicht zu, daß seine Phantasie sie aufnimmt. Sie ist wirklich und anders, ein Mädchen, das er begehrt, obwohl er nicht weiß, was begehren ist, das er fürchtet – und in den Spielarten der Furcht kennt er sich besser aus.
Er will sie nicht sehen, ihr lieber schreiben. Er hört wunderbare Zeilen, es gelingt ihm nicht, sie aufzuschreiben. So trifft er sie wieder, nach einigen Tagen, sie ist ihm böse, sagt, morgen hätte sie auf jeden Fall mit ihm Schluß gemacht, einen solchen wie ihn gäbe es noch viele, er solle nicht meinen, er sei zu fein für sie. Er begreift sie nicht. Was sie von ihm denke? Es sei ihm ohnehin nicht wohl zumut. Alles schmerze ihm. Und ein Geck sei er nie gewesen. Ihr Lachen verletzt ihn. Sie merkt es. Sie berührt mit ihrer Hand flüchtig die seine und bittet ihn, nicht bös zu sein.
I han nix denkt, woisch.
Isch scho recht.
Man habe ihn und die kleine Breunlin miteinander gesehen, vorm Neckartor.
Ja, das sei wahr.
Wie er denn zu diesem Umgang komme?
Aber Herr Breunlin sei doch Hofrat.
Deswegen frage sie.
Das müssen Sie mir bitte erklären, Mamma.
Da gäbe es nix zu erklären. Er sei ein rechter Kindskopf, und es sei an der Zeit, daß er nach Denkendorf komme.
Wir unterhalten uns aber gut.
Er erzählte Suse aus dem Altertum und freute sich, daß seine Sätze so anschaulich waren, es ist, sagte er, eine eherne Welt gewesen, aber auch schön.
Du bisch g’scheit, sagte sie und machte ihn stolz.
Manchmal hielt sie ihn schon länger an der Hand. Erst scheute er sich, dann genoß er es.
Einige seiner Freunde, Bilfinger vor allem, machten sich lustig über seine Liebschaft, verdächtigten ihn eben jener Lüsternheit, die er sich auszutreiben versucht hatte unddie ihn jetzt, seitdem er Suse häufig traf, auch in Gedanken nicht mehr peinigte.
Sie seien blöd, sie könnten nur dreckig denken. Sein Ernst, sein Zorn machten sie still. Wenn man’s g’nau nimmt, isch d’r Holder a Heiliger, stellte Bilfinger, das Geschwätz abschließend, fest.
Er versprach, ihr aus Denkendorf zu schreiben. Jeden Tag einen Brief. Sie wiederum versprach, fleißig im Haus zu arbeiten und stets an ihn zu denken.
Im Grunde brauchte er ihre Gegenwart immer weniger, da sie längst zu einem Bild geworden war, hell, unantastbar, von einem unberührten Geist.
So war sie nicht. Sie war eher derb und frühreif, nur ihr schmaler Kopf mit den manchmal somnambulen Augen glich den Bildern, die er sich später suchte, um sie anzubeten.
Sie hatten im Breunlinschen Haus auf der steinernen Treppe zum Garten gesessen, sie hatte ihm zugehört, ihn ab und zu selbstvergessen angestarrt, ihn plötzlich hochgezerrt, komm, Fritz, komm, ihn unter die Büsche gezogen, wo es süß und modrig duftete, ihn umarmt, daß er sie mit einemmal ganz spürte – und danach würde er sich dieses »ganz« immer wieder aus dem Schrecken wiederholen, ganz, ganz spüren –, ihr Gesicht lag an dem seinen und, nachdem er schon erstarrt war, küßte sie ihn auf die Schläfe. Er hielt still, obwohl er sich hätte losreißen wollen. Erst als sie anfing zu sprechen, faßte er sich. Du, mei Liebschter, sagte sie. Noi, sagte er, bitte net. Des net. Er stand zwischen den Sträuchern auf, klopfte sich die Erde von der Hose, lief weg. Sie sah ihm verdutzt nach.
In der Nacht darauf träumte er, daß sie nackt vormBreunlinschen Haus gestanden habe, eine Menge von Leuten um sich, darunter auch Bilfinger, und im ruhigsten Ton berichtete, daß der Fritz Hölderlin sie ausgezogen habe, auszoge hat er mi, denket bloß, aguckt und apackt und mi aus meim Haus nausgschmisse.
Er schämte sich vor ihr und ging ihr aus dem Weg. Noch an dem Tag, ehe sie ihn nach Denkendorf brachten, sah er sie: Sie nickte ihm zu, senkte, als er sich abwandte, den Kopf. Er hätte ihr, sagte er sich, unbedingt schreiben sollen, daß sie ein Bild zerstört habe, das er sich von ihr mache und daß er sie eigentlich noch liebe, oder daß er sie eigentlich nie geliebt habe. Das wisse er sich nicht genau zu erklären. Hätte er ihr schreiben sollen, daß er sich aber besser kenne, »meine bösen Launen, meine Klagen über die Welt, und was der Torheiten mehr sind –«.
Das würde sich wiederholen.
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III
Denkendorf
Da ließe sich eine Idylle schreiben. Wer heute nach Denkendorf kommt, dem ehemaligen Chorherrenstift bei Eßlingen, wird nichts anderes annehmen, entzückt über die Abgeschiedenheit der Kirche und der ehemaligen
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