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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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bei sich, malte er sich eine heimliche Zusammenkunft mitSuse Breunlin aus, und da war es ihm gleich, daß seine Phantasien hitzig wurden. Überhaupt waren ja auch die Götter Griechenlands große und kühne Liebende und in Klopstocks »Messias«, den er aus Goks Bücherschrank hatte entleihen dürfen, freilich unter den Mahnungen Köstlins, diese schöne Poesie mit Zurückhaltung zu genießen, im »Messias« fand er einiges, was seiner unruhigen Verfassung entsprach. Das las er dann den Kindern vor, die kaum zuhörten, allenfalls Karl, der sich manchmal zu ihm setzte, aber eher, um dem großen Bruder schön zu tun.
    »Ach, da ichs, Cidli, noch wagte, / Zitternd zu denken, du seist mir geschaffen; wie still war mein Herz da! / Welche Wonnen erschuf sich mein Geist, wenn Cidli mich liebte! / Welche Gefilde der Ruh um mich her! Oh darf ich noch einmal, / Süßer Gedanke, dich denken? und wird dich mein Schmerz nicht entweihen?«
    Des sagsch du schö, meinte Karl.
    Und ihn befriedigte es, daß es sich doch um den Geist handele, der alle diese Wonnen erschafft, diese ungenauen Sehnsüchte, diese bis ins Fleisch reichenden Schmerzen.
    Es ist der Geist! Er wünschte sich, Sätze für Suse zu finden, die denen an Cidli ebenbürtig wären.
    Jemand hatte geraten, er solle ins kalte Wasser steigen, falls er sich erhitze.
    Ihm wäre es lieber, Suse erlöste ihn. Sie tat nichts dergleichen, redete ihn nicht an, lachte, lächelte, blinzelte ihm womöglich zu, was er sich vielleicht auch auslegte, rannte aus seiner Nähe fort. Er strich jetzt häufig durch die Kirchstraße, am Breunlinschen Haus vorüber und hoffte, sie würde ihn bemerken.
    Sie habe ihn schon gesehen, Tag für Tag, sagte sie, doch er sei so ernst, so verschlossen gewesen, daß sie ihn nicht habe stören wollen. Als tätsch lateinisch denke, woisch?
    Dennoch sprach sie ihn an, rief ihn zu sich: Fritz! Sie stand vor der Schmiede, einen mit Tuch bedeckten Korb am Arm. Er wagte nicht hinzuschauen, nein, das hatte nicht ihm gegolten. Wie kann sie es wagen, ihn beim Namen zu nennen. Der zweite Ruf, eher leiser, über die Straße zugeflüstert, hält ihn fest. Geht er zu ihr? Kommt sie zu ihm? Ist sie zu ihm gekommen? Sie ist auf ihn zugekommen, schlendernd, so, als hätte sie es viele Male geprobt.
    Ja?
    Kommsch mit aufn Kirchhof?
    Er nickt. Er hat nein sagen wollen. Noi, i han kei Zeit.
    Trägsch mer d’r Korb?
    Er nimmt ihn ihr wortlos ab.
    Sie besuche das Grab vom Großvater. Das tue sie oft. Ob er nicht wisse, daß ihr Großvater vor zwei Monaten gestorben sei?
    Nein.
    Aber er sei Offizier des Herzogs gewesen.
    Nein. Er habe es nicht gewußt. Er habe den Offizier Breunlin nicht gekannt.
    Sie gehen durch die Gräberreihen. Hier ruht der Großvater, sagt sie feierlich. Stell den Korb ab und bet mit.
    Er gehorcht ihr, fragt sich aber, was zu beten sei.
    Er schämt sich, daß ihm kein vernünftiger Satz einfällt.
    Er sagt, als sie wieder hinausgehen, dort, hinter dem großen Grab, liegt mein zweiter Vater.
    I woiß, d’r Bürgermeischter Gok, antwortet sie.
    I mueß hoim, sagt er.
    Wege dem Herrn Diakon seiner Stond? sagt sie.
    Ja, der kommt und i mueß lerne.
    Willsch me wiedersehe, fragt sie.
    Er nickt, gibt ihr den Korb und läuft fort.
    Morge, ruft sie ihm nach.
    Vielleicht, sagt er vor sich hin, daß sie es nicht hören kann. Aber am anderen Tag wird er durch den Besuch der Tante aus Markgröningen aufgehalten. Sie ist auf der Durchreise, zusammen mit Vetter und Base, und er hat sich denen zu widmen, da sie ihn doch auch seinerzeit, bei der Visite im Pfarrhaus, so lieb unterhalten hätten. Er schickt sich, muß aber fortwährend an die wartende Suse denken, überlegt, ob er Karl als Boten aussenden könne, der ist aber so neugierig wie geschwätzig und nach einer Weile – er strengt sich in der Unterhaltung nicht eben an – scheint es ihm sinnvoll, daß sie, wenigstens einen Tag, vergeblich auf ihn warten müsse und, so wünscht er ihr’s, auch nach Gebühr leide wie er.
    Nach der Schule macht er den kleinen Umweg über die Kirchstraße, spielt den in Gedanken Vertieften, trödelt – sie läßt sich nicht blicken. Sie nimmt mich nicht ernst, sagt er sich. Ich muß sie noch mehr strafen.
    Er vergißt es, verzeiht ihr, redet mit ihr, redet sie sich in sein Zimmer, die ganze Nacht soll sie bei ihm bleiben, er wird ihr vorlesen, wird ihr huldigen, denn sie ist schön, zart, sie hat Hoheit, nur ihr dummes Lachen muß sie sich abgewöhnen, wird er ihr abgewöhnen,

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