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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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küssen sich, wissen, daß sie jemand, mit angehaltenem Atem, durchs Schlüsselloch beobachtet. Sie lassen sich nicht los, antworten mit ihrem Schweigen auf die hechelnde Stille draußen.
    Er kann sich bei niemandem aussprechen. Hegel, der ihm manchmal Bücher und Zeitschriften hinausbringt, deutet er die ausweglose Lage an.
    Ich werde mich wohl bald verabschieden müssen.
    Hegel wagte nicht, weiterzufragen. Es wäre Hölderlin auch unmöglich gewesen, dem Freund in verständlichen SätzenBescheid zu geben. Daß seine Liebe, je mehr er bedrängt werde, sich desto unfaßbarer abstrahiere; daß diese Abstraktion aber nicht seine Leidenschaft mildere; daß es ihm gelang, die Diotima von Susette zu trennen und daß er dennoch Susette heftiger als je begehrte; daß er sich selbst zu teilen verstand: in den, der listig gequält wurde und sich nicht wehrte, und in den, dessen Geist sich kalt und mächtig über jede Beleidigung erhob.
    Neuffer würde ihn begreifen. Er gab sich Mühe, Neuffer ohne Beschönigung zu schreiben. Jeder Satz mißlang ihm, erschien ihm falsch, unwahr. Er brachte den Brief nicht fertig, zerriß ihn, schrieb, damit Neuffer noch rechtzeitig die neuen Gedichte für seinen Almanach erhalte, einige Zeilen, entsann sich, daß Neuffer ihn gebeten hatte, sich mit Sophie Mereau in Verbindung zu setzen und daß man ihm auch hier ein Verhältnis nachredete; er hatte sie nur einige Male in Jena getroffen und wohl auch vor Freunden über ihre Grazie und ihren Eros geschwärmt. Mehr nicht; solche Böswilligkeiten zog er nun wohl an. Sein Zorn bricht unvermittelt auf, Neuffer wird sich gewundert haben: »Der Mereau konnt ich nicht wohl schreiben, weil man sagt, ich habe einen Liebeshandel mit ihr oder wer weiß mit wem? in Jena gehabt. – Ach! Lieber! es sind so wenige, die noch Glauben an mich haben, und die harten Urteile der Menschen werden wohl so lange mich herumtreiben, bis ich am Ende, wenigstens aus Deutschland, fort bin.«
    Hier erscheint keine Person als Bote, kein Vermittler, kein späterer Freund, hier werden seine Gedanken, Wörter selbst zu Boten, »bis ich am Ende, wenigstens aus Deutschland, fort bin«.
    Über das Wochenende hatte Gontard, unter dem Vorwand, Susette aufzuheitern, wieder ein Fest gegeben. DieKinder, auf ihre Zimmer oder in ein abgelegenes Garteneck abgeschoben, waren traurig und widerborstig. Henry hatte ihn zu seinen Silberpappeln gelockt. Im Westen, zum Taunus hin, säumten Silberpappeln einen Bach. Tagsüber, wenn die Sonne gegen sie stand, glitzerten sie und wurden zu schwerelosen Körpern. Henry liebte es, auf sie zuzuwandern: Weil sie immer wirklicher werden und weil sie, wenn man ihnen nah ist, zu flüstern beginnen. Pappeln sind die einzigen Bäume, die immerfort sprechen. Gehst du mit zu den Pappeln, Hölder?
    Gern, Henry.
    Sie unterhalten sich über die Leute auf dem Fest, Henry beschwert sich über deren Hochmut: Sie tun so, als ob es keine Kinder gibt.
    Weißt du, sie sind schon alt auf die Welt gekommen.
    Das belustigt den Jungen.
    So groß und alt wie sie sind?
    Inwendig alt, Henry.
    Und du, du bist inwendig jung?
    Ich bin älter als sie alle.
    Das glaub ich nicht. Du bist inwendig so wie ich.
    Wenn du wünschst, will ich es wenigstens bis zu den Pappeln sein.
    Und zurück, sagt Henry.
    Ja, und zurück.
    Den Tag darauf verließ er Hals über Kopf das Haus.

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    VIII
    Die zwölfte Geschichte
    Er hatte es erwartet. Doch er war nicht vorbereitet.
    Gontard ging an diesem Tag nicht ins Geschäft, wodurch das Haus durcheinandergeriet. Die Köchin erkundigte sich rundum, ob Gäste zu erwarten seien, der Gärtner grub mit wildem und unnötigem Eifer vor dem Aufgang eine Rabatte um; die Haushälterin schrie wirre Anweisungen für niemanden; Susette ließ sich nicht blicken; Henry erschien verspätet zum Unterricht; Jette und Male spazierten wie aufgezogene Püppchen auf dem Sandweg rund ums Haus.
    Er bemühte sich, Henry von der ungewohnten Unruhe abzulenken, erzählte ihm, ohne ins Buch zu sehen, von der Gründung Roms, womit sie eine Stunde herumbrachten, dann bat er den Jungen, ihm aus der Küche ein Glas Wasser zu holen. Sein Mund sei vom vielen Reden trocken geworden. Der Bub kam nicht wieder.
    Er wartete, ordnete grundlos die Bücher und Papiere, stapelte sie auf dem Tisch, öffnete das Fenster, sah unter den Kastanien Henry mit seinen Schwestern spielen, rief nach ihm, doch das Kind reagierte nicht, auch der Gärtner hob nicht den Kopf.
    Er lief auf den Gang,

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