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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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alte Einrichtungen und Geseze gedultet und in Kraft sieht, die nur in der Barbarei und Unwissenheit ihren Ursprung und Grund haben, wo die Rechte der Menschheit nach der trüglichen Zufälligkeit der Stärke und Anmaßung gewogen wurden …«
    Sie setzten ganz auf die Zusammenarbeit der Landstände und des Direktoriums. Dieser immer größer werdenden Kraft würde der Herzog auf die Dauer nicht widerstehen können. Alles, was sie in Tübingen geträumt hatten, schien sich nun zu verwirklichen. Hegel, der Hölderlin mahnte, nicht andauernd in Tübinger Erinnerungen zu schwelgen, oder nach Analogien zwischen den Unruhen der Gegenwart und besseren Zuständen im alten Griechenland zu fahnden, wollte sich »einmischen«. Nun zeige sich, daß sie nicht vergebens unter der Fuchtel Carl Eugens denken gelernt hätten. Jetzt ließe es sich gegen diese Brut anwenden. Er wolle mit ihm zusammen einen Aufruf schreiben und ihn als Flugschrift unter die Leute bringen. Hölderlin lehnte ab. Er sei kein Politiker, er verstünde von den Angelegenheiten viel zu wenig, er sei ein aufgeschlossener, beteiligter Zuschauer, nicht mehr.
    Hast du wieder Angst?
    Ich habe keine Angst. Ich will mit dir nicht streiten. Du kennst mich. Ich halte mich nicht aus Feigheit zurück. Die Wirklichkeit hat mich krank gemacht, und ich werde an ihr krank bleiben, wenn sie sich nicht bessert. Also müßte ich eigentlich nachhelfen. Ich kann’s nicht, Hegel.
    Hegel fand niemanden, der seine Schrift druckte, aber Hölderlin schrieb sie ab, schickte sie Sinclair, der sie immerhin unter seinen Freunden in Rastatt kursieren ließ: »Die ruhige Genügsamkeit an dem Wirklichen ist in Hoffnung, in Erwartung, in Mut zu etwas anderem übergegangen. Das Bild besserer, gerechterer Zeiten ist lebhaft in die Seelen der Menschen gekommen, oder eine Sehnsucht, ein Seufzen nach einem reinern, freiern Zustande hat alle Gemüter bewegt und mit der Wirklichkeit entzweit.«
    Sinclair bedrängt ihn längst nicht mehr so, wie der ungeduldig gewordene, seine Stellung anzweifelnde Hegel. Wenn er Sinclair in Homburg besuchte, erfrischt von der Wanderung durch die Wäldchen und Wiesen zwischen Bonames und Homburg, mußte er zwar auch gleich politisieren, sich Sinclairs Wutausbrüche über die Homburger Bürger anhören, die gegen ihn, den »Hofdemokraten« stänkerten, doch Sinclair verlangte von ihm keine Stellungnahme. Du gehörst ja zu uns, Hölder, bekennen mußt du es nicht.

    Im Dezember hatte der Rastatter Kongreß begonnen. Er war im Friedensvertrag von Campoformio zwischen Österreich und der Französischen Republik beschlossen worden. In Rastatt sollten die endgültigen Friedensregelungen formuliert und über die Abtretung der linksrheinischen Gebiete an Frankreich verhandelt werden. Von den Verhandlungen erwarteten sich besonders die Republikaner Anstöße und Veränderungen. Neben den offiziellen Delegationen hielten sich darum viele republikanische Beobachter in Rastatt auf, versuchten, den Verhandlungslauf zu beeinflussen. Der Landgraf von Homburg hatte Sinclair als seinen Vertreter für Rastatt bestimmt. Die Aussicht, mit den Ersten Diplomaten Europas als seinesgleichen umgehen und verhandeln zu können, beschwingte Sinclair. Nein, er wolle nicht gegen seinen Fürsten handeln, aber auch nicht für ihn. Er wolle ihn nicht verraten, doch ihn auch nicht unbedingt schützen. Die Entwicklungen würden ihm helfen, der Landgraf werde ein Einsehen haben müssen. Wahrscheinlich wußte Friedrich V., welchen Widersprüchen er Sinclair mit diesem Auftrag aussetzte. Hatte er keinen Besseren, Gewandteren? Wollte er Sinclairs Loyalität auf die Probe stellen?
    (Ich schreibe: Sinclair vertritt den Landgrafen in Rastatt. Ich sehe ihn unter den Delegierten der Republik und des Reichs, male mir die Szene eines solchen Kongresses aus. Sicherlich nicht so prächtig wie später der von Wien. Rastatt ist klein. Das Schloß ist neu und nobel, und man bringt vieles zur eigenen Bequemlichkeit mit. Man hat gelernt zu glänzen. Auch die Vertreter der Republik sind darin nicht ungeübt. Diplomatie braucht Flitter. Sinclair ist ein Diplomat. Er ist geschickt und weiß das bißchen Macht, für das er einsteht, auszuspielen. Dabei habe ich ganz vergessen, wie alt er ist. Seine Pflicht und das Gewicht seines Auftrags haben ihn für mich älter werden lassen. Tatsächlich war er, als er in Rastatt seinen Fürsten vertrat, noch keine dreiundzwanzig Jahre alt. Ein sehr junger Mann. Für unsere

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