Härtling, Peter
sehr hart! ich hatte immer auf den Sonnabend gerechnet, doch mußte ich eine Ahndung von Dir haben den ich öfnete, am Abend wie Du vorbey giengest, ungefähr um halb 9 Uhr das Fenster und dachte, wenn ich Dich doch im Schein der großen Lanterne erblickte. Einige Zeit nach her, als ich Henry zum Hegel schicken wollte antwortete er es sey ihm nicht mehrerlaubt, ich sagte ihm sehr ernsthafft, daß er ein undankbares Herz hätte wenn er gegen dieses Verboth gar keine Einwendung gemacht, und wenn es ihm nicht sehr leid wäre, es half aber nichts, er sagte, er müsse doch gehohrsam seyn.«
Hölderlin fragt sich, was gegen ihn gesagt, wie sein Bild gelöscht würde. Der Vater hat das Kind sicher traktiert mit Verdächtigungen, mit Angst.
Susette wird ihm siebzehn Briefe schreiben; sie werden sich heimlich treffen.
Die selige Gegend, die er für sie entworfen hatte, werden sie nie betreten.
Komm, sagt Sinclair, ich will dir Laune machen.
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Sechster Teil
Unter Freunden
Homburg, Stuttgart, Hauptwil,
Nürtingen (1798–1801)
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I
Einwurf
Ich kann nicht ohne Einwurf weiterschreiben, denn ich merke, daß ich von seiner Gestalt immer mehr mitgenommen werde, daß der Abstand zwischen ihr und dem Erzähler kleiner wird. Die Spanne, in der ich ihn begleiten, mit ihm denken, seinem Denken und Handeln folgen kann, wird kurz. Es sind nur noch wenige Jahre bis zum Ausbruch seiner Krankheit. Ich habe schon zwei-, dreimal geschrieben: Sein Leben beschleunigt sich. Nun wird es unstet, zu einer Flucht ohne offenbaren Grund. Gegen diese Unrast, dieses hochschnellende Fieber reden mit einer wunderbaren Ruhe die Gedichte an, die er in den folgenden Jahren schreibt. Nahezu alle Texte, die ihn haben groß und unvergleichbar werden lassen, entstehen jetzt. Sie nehmen die Spannung auf, halten sie aus. Sie führen sogar, wie im Fall des »Empedokles«, diese Spannung vor. Von dem Trauerspiel sind drei Fassungen erhalten, wobei »Fassungen« eine unzutreffende Bezeichnung ist: Es sind drei Anläufe, eine ihn »hinreißende« Gestalt zu erfassen und sich mit ihr zu erklären. Dreimal bricht er ab und hat doch dreimal erreicht, was er wollte. Das endgültig Unausgeführte, das Fragment wird mit dem »Empedokles« zu seiner Ausdrucksweise. Es gibt den Prozeß seines Denkens, seiner Entwicklung wieder, ist Bestandteil seines Fortganges. Was er in Bruchstücken lebte, erscheint nun als Bruchstück. Dennoch weiß er, wie beim »Empedokles«, daß die Teile zu einem Ganzen gehören. Er ist nicht mehr mächtig genug, das Ganze zu erkennen, so hofft er, daß die Teile es ahnen lassen und daß die Ahnung genüge, es bewußt zu machen. Die Epoche, deren Kind er ist, die er leidenschaftlich beobachtet, wünscht wie keine andere ein mit der Idee identisches Menschenbild und verrät es wie keine andere. Er hat diesen Bruch geschrieben. Der »Empedokles« des ersten Anlaufs, der beredte Tribun, maßt sich noch an, allein Gott zu sein, und bricht aus dem Einverständnis mit dem Volk und der Natur aus; der des zweiten Anlaufs wird zum Mittler, der sich im hybriden Anspruch vom Menschen entfernt: »Was sind / Die Götter und ihr Geist, wenn ich sie nicht / Verkündige.« Der des dritten Anlaufs entfernt sich ganz vom Menschen in die Idee, abstrahiert sich: »Denn viel hab’ ich von der Jugend auf gesündiget. / Den Menschen menschlich nie geliebt, gedient, / Wie Wasser nur und Feuer blinder dient. / Darum begegneten auch menschlich mir / Sie nicht …« Die Kluft ist unüberbrückbar. Sie kann überwunden, gesühnt, versöhnt werden allein durch den letzten Sprung. Empedokles, der Verführer, Vermittler, Verräter stürzt sich in den Ätna, vereint sich mit der Natur und mit dem Gedächtnis der Menschen. Als Mythe findet er zurück, wird er zur einenden Idee.
Für die dritte Fassung braucht Hölderlin kaum mehr als zwanzig Seiten.
Mit dem »Empedokles« ist er dort, wo er hin wollte. Er hat sich entschieden. Für ihn ist das Fertige, Ausgesprochene, Geschliffene unwichtig geworden. Das Gedicht will nicht mehr sein als ein Entwurf (wie die Geschichte, der er zusieht). Ein Entwurf allerdings, der immerfort, mit einer inständigen Geste, über sich hinausweist.
Das kann ich nicht nacherzählen. Ich hole ihn mir zurück: Eine Figur, mit der ich zu entwerfen versuche. Ein Vergangener, der noch nicht zu Ende ist. Ich erläutere nicht seine Gedichte, sondern mit seinen Gedichten allenfalls sein Leben. Ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird,
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