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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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klopfte an die Tür von Susettes Zimmer, bekam keine Antwort, ging einige Male auf dem Korridor hin und her, endlich die Treppe hinunter. Aus dem kleinen Saal, dessen Tür offenstand, rief ihn Jakob Gontard. Er mußte erwartet haben, daß Hölderlin, beunruhigt über das störrische Fernbleiben Henrys, herunterkomme.
    Herr Hölderlin!
    Die Szene ist gestellt. Gontard steht neben dem Schreibtisch, den er nie benützt, auf dem nun aber Papiere ausgebreitet sind, Susette sitzt, ein wenig abgerückt von ihm, auf einem der hochlehnigen Stühle, die sonst an der Längswand aufgereiht stehen. Sie hält den Kopf gesenkt, die Hände im Schoß gefaltet.
    Ja, bitte?
    Er bleibt, kaum ist er über die Schwelle, stehen. Weiter will er nicht gehen.
    Er hat keine Angst, doch in seinem Kopf sirrt es, und eine jähe Wut preßt ihm die Kehle.
    Sie suchen Ihren Schüler, nicht wahr?
    Ja, er ist mir davongelaufen.
    Nein, Sie haben ihn wie einen Lakaien nach einem Glas Wasser geschickt.
    Das stimmt. Doch nicht wie einen Lakaien. Er hat mir schon öfter –
    Um so schlimmer.
    Er tat es mir zuliebe, weil er mich gern hat.
    Er hat Sie gern? Gontards Stimme wurde schrill. Wer hat Sie nicht gern in diesem Haus, mein Herr, wer wünscht sich nicht, Sie zu bedienen?
    Monsieur Gontard …
    Sie verziehen und verzärteln den Jungen. Ihre häßliche, sinnliche Phantasie ist Gift für ihn.
    Monsieur!
    Ich erlaube Ihnen nicht, mich zu unterbrechen. Ihre falsche Moral hat, wie man sehen kann, das Kind krank und ungezogen gemacht …
    Von welcher Moral sprechen Sie, Monsieur? Er sah Gontard nicht mehr. Von meiner? Wie können Sie sich anmaßen, darüber zu urteilen. Sie verachten den Menschen, Siegebrauchen ihn. Ihre Kälte hat mich viele Male erschreckt, Sie und Ihre Freunde sind nichts als lauter ungeheure Karikaturen. Mir wird kalt, wenn ich in ihre Nähe gerate. Reden Sie von Ihrem Herzen, dann reden Sie von Ihrem Geld. Wir alle, ich, Madame – die Kinder sind Ihr Besitz, mehr nicht. Sie verfügen über uns. Es ekelt mich …
    Gehen Sie, sagte Gontard leise, gehen Sie, verlassen Sie unverzüglich mein Haus.
    Und Susette sagt, zu seiner Verwunderung: Gehen Sie. Bitte.
    Mit offenem Mund lauscht er in die plötzliche Stille, noch immer blind. Sie hat gesagt, was er gesagt hat.
    Ja. Ich gehe. Er nickt. Wie Sie es wünschen.
    Mit einem eigentümlich verzerrten Satz dreht er sich um, rennt die Treppe hinauf, rafft seine Kleider zusammen, bündelt die Bücher, die Manuskripte, läuft zu Susettes Zimmer, wo seine Flöte liegt, nimmt sie, sieht in die Stube zurück, leer und viel zu aufgeräumt geht sie in sein Gedächtnis ein, rafft zusammen, was er tragen kann, das andere wird man ihm nachschicken, rennt die Treppe hinunter, zögert einen Moment im Entree, erwartet, sie zu hören, verläßt das Haus, rennt durch das Portal, die Kinder, noch immer bei der Kastanie in ein Spiel vertieft, bemerken ihn nicht, er redet vor sich hin, adieu, adieu, rennt weiter, auf die Stadt zu durchs Eschenheimer Tor, bleibt stehen, die Leute schauen ihn mißtrauisch an, wohin, fragt er laut, wohin denn? Er wollte nach Nürtingen. Doch wie soll er sein unerwartetes Auftauchen erklären? Er wird die Mutter traurig machen. Ich geh zu Sinclair, sagt er, kehrt um, macht einen Umweg um den Adlerflychtschen Hof, sieht das Dach von ferne, schluchzt, errennt, es ist ein wolkenloser Tag, die Taunusberge sind nahgerückt, wieder rennt er, rennt, meint, daß er aus sich hinausrenne, in seinem Kopf setzt sich ein Wort fest, wird größer, füllt den Schädel, das ganze Bewußtsein, füllt ihn aus: Äther, Äther. Und das Wort zieht Sätze an, die er, ohne sie zu verstehen, aufsagt: Verloren ins weite Blau, blick ich oft hinauf in den Äther, verloren hinauf in den Äther, verloren in den Äther, ins weite Blau, in den Äther. Bei Sinclair bricht er zusammen.
    Sie haben mich davongejagt, Isaac, rausgeworfen, davongejagt.
    Sei ruhig Hölder.
    Ich will hierbleiben.
    Das kannst du. Ich werde dafür sorgen.
    Sinclair hält ihn in den Armen, wiegt ihn, redet auf ihn ein. Ich werde jetzt gehen, eine Wohnung für dich suchen.
    Hölderlin beharrt darauf, ihn zu begleiten, er könne nicht allein sein, jetzt nicht. Aber das Gepäck solle er hier lassen. Nein, ich will alles bei mir haben. Ich will auch alles selber tragen.
    Sie gehen in die Stadt. Sinclair stellt keine Fragen. Sie schweigen. Er trottet, die Last des Gepäcks spürend, neben dem Freund. Manchmal setzt er an zu reden, doch mit einem

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